„Werde, was du bist – in Christus“. Predigt JP Hanstein, Lauf

19. So. n. Trinitatis – 8.10.2020, 10:30 Uhr, Livestream aus St. Jakob

Liebe Gemeinde,

stellt euch vor, ihr wacht auf und wollt euch anziehen. Und da hängt euer neuer Anzug. Exakt für euch zugeschnitten. Die Ärmel passen und die Hosenlänge auch. Ihr schlüpft hinein und alles passt. Der Tag kann beginnen. Was kann einen in einem solchen Anzug schon passieren?

Ich meine natürlich eher nicht unsere Arbeitskleidung, nicht der Blaumann von Engelbert und auch nicht den maßgeschneiderten Anzug von Brioni! Sondern so einen Supermannanzug. Einen Anzug, der aus dem durchschnittlichen Schüler Peter Parker Spiderman macht und der nun alle möglichen Wunder vollbringen kann.

Obwohl wenn ich diesen jungen Mann anschaue, muss ich zugeben, dass ich nicht so wohlproportioniert wäre wie Peter und mich alle in diesem Aufzug eher auslachen könnten. Aber nehmen wir an: es liegt da Kleidung bereit und damit wäre mein Leben wie neu. Ungeahnte Kräfte wüchsen mir zu und ich erlebte ein Abenteuer nach dem anderen. Wie abgetragen und verschlissen ist dagegen, was ich bisher getragen habe.

Was würde sich in meinem Leben verändern?

Du müsstest ja wie die Kinohelden immer noch in die Schule gehen oder den stumpfsinnigen Bullshit-Job im Büro machen. Wahrscheinlich endete alles typisch deutsch wie der Film „Vorstadt-Avengers“ mit Wendy und Elmar statt Superman und Batman … Der Verfasser des Epheserbriefes beschreibt diese neue Kleidung so:

Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht,

ändert euer früheres Leben und erneuert euren Geist und Sinn!

Das ist fast noch krasser wie bei den Supermännern – und Frauen. Er fordert uns auf, den alten Menschen wie alte Kleidung einfach abzustreifen. Erneuert ἀνανεοῦσθαι euren Geist und Sinn! Wir sollen eine Metamorphose durchmachen wie eine Raupe, die zum Schmetterling wird und ihren Raupenkokon einfach leer zurücklässt.

Und dann kommts:

Zieht den neuen Menschen an,

der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Die ursprüngliche Version unseres Menschseins, wie Gott uns nach seinem Bild geschaffen hat? Doch so eine Art Supermensch nach dem Bilde Gottes?

Ja – aber das Bild Gottes ist schon seit dem Anfang, Gen 1, Bild Gottes. Menschen mit bestimmten Fähigkeiten und Begrenzungen. Von Anfang an konnten wir Menschen ihr Leben frei interpretieren. Wunderschönes entstand, aber auch schreckliches. Ermahnen half nicht, ebenso strafen und vernichten nicht.

Schließlich, so erzählt es das Neue Testament, sandte Gott seinen Sohn Jesus. Er ist der neue Mensch, wie Gott ihn sich vorgestellt hatte.

Ich schwanke da auch manchmal. Ist Jesus auch nur so ein getarnter Superman, versehen mit unglaublichen Kräften? Wunder und Zeichen geschahen. Jesus heilte und bewerkstelligte Unglaubliches. Aber am Ende waren seine Kräfte nicht groß genug. Sein Leib und sein Leben wurde Schritt für Schritt geschunden und zerstört bis zum Tod am Kreuz. Jesus starb diesen elenden Tod, den sich ein Batman oder Superman niemals hätte gefallen lassen. Er wurde an unserer Stelle zur Sünde gemacht, Hass und Zorn, Lüge und Trug – all das wird in seiner Passion übergroß sichtbar.

Doch kein Superman? Doch – weil er durch viele Menschen wieder aufersteht, mächtiger und wirksamer als je zuvor. Der Verfasser von dem Epheserbrief hat kurz vorher beschrieben, wie er sich die Auferstehung Jesu Christi vorstellt. Viele Menschen leben wie er, ziehen sich diesen neuen Menschen an und bilden zusammen den Leib Christi. Die Supermänner suchen immer nur nach ihresgleichen. Manchmal braucht es zur Vervollständigung ihrer Fähigkeiten eben so einen tollen Anzug, aber sie bleiben allein. Oft bitter einsam. Und irgendwie erfolglos. Von Film zu Film werden Schurkentaten spektakulärer und brutaler. Es hat nie ein Ende, es gibt keine Veränderung. Die Welt ist nie gerettet.

Ist es ein Trost, dass die Gemeinde in Ephesus zutiefst zerstritten und gespalten war und sie deshalb so einen Brief erhalten haben? Was würde uns ein Paulus nach Lauf oder die evangelische Kirche in Bayern schreiben?

Und Ist irgendetwas seitdem besser geworden? Es gibt einen entscheidenden Unterschied zu den üblichen „Moralkeulen“:

1) All diese Aufforderungen sind an uns adressiert, nicht an irgendwelche anderen, über die wir uns aufregen könnten. Wir sollen neu werden, uns erneuern an Leib und Seele.

Uns gibt der Epheserbrief sogar positive Anregungen.

2) Dort heißt es am Ende:

„Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch durch Christus vergeben hat!“

Nicht in unserer Vollkommenheit besteht die Nachahmung Gottes, sondern darin, dass wir Unvollkommenheit bei uns und anderen eingestehen und vergeben. Vergebt, weil Gott euch vergeben hat. Darin sollen wir Gottes Ebenbild sein. Die Superkraft – ist die Vergebung. Was Gott nur allein durfte, hat er durch Christus uns gegeben. Die stärkste Kraft ist nicht die vom gnadenloasen Superman, sondern von dem, der vergibt. Dazu gehört noch mehr … Lesen wir das vierte Kapitel des Epheserbriefes weiter:

Legt deshalb die Lüge ab, und redet untereinander die Wahrheit; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden.

Lasst euch durch den Zorn nicht zur Sünde hinreißen! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.

Gebt dem Teufel keinen Raum!

Der Dieb soll nicht mehr stehlen, sondern arbeiten und sich mit seinen Händen etwas verdienen, damit er den Notleidenden davon geben kann.

Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, stärkt, und dem, der es hört, Nutzen bringt.

Beleidigt nicht den Heiligen Geist Gottes, dessen Siegel ihr tragt für den Tag der Erlösung.

Jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung

und alles Böse verbannt aus eurer Mitte!

Ich sehe geradezu durch die Kamera euer Gähnen auf den Sofas und an den Küchentischen. Was für biedere Ermahnungen! Wie oft haben wir solche Sprüche gehört! Auf der Wand gelesen: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen!“

Auch wenn wir den neuen Menschen anziehen, d.h. wenn wir getauft sind und Jesus nachfolgen und auch nachahmen, bleiben die großen Probleme der Welt. Krankheiten, wie in unserer Zeit Corona, stellen uns auf eine große Geduldsprobe. Meinungsverschiedenheiten werden hasserfüllt auch in unserer Kirchengemeinde ausgetragen. Lüge und üble Nachrede geht durch alle Teile unserer Kirche.

Und auch wir Gutmenschen werden enttäuscht und müde, wie die Superhelden abgenützt werden vor dem immer gleichen Bösen und Schlechten in der Welt?

Das Böse zu bekämpfen ist einfacher als zu vergeben und es selbst besser zu machen.

Zornig zu sein ist einfacher, als diese wilde Energie wirklich in die Lösung schwelender Konflikte zu stecken. Wir gerade in der Kirchengemeinde sind so harmonisch, dass wir alle Konflikte verdecken und vertuschen und so auch verlängern, bis sie sich von allein lösen, weil alle Parteien verschlissen sind. Lieber kurz und heftig, aber dafür danach durch die Vergebung im Frieden.

Zornig werden wir alle – ist ja auch verständlich, aber als Christen machen wir das Unglück nicht größer, sondern retten was zu retten ist. Möglichst am selben Tag, obwohl ich eher empfehlen würde, über manchem Zorn erst einmal eine Nacht zu schlafen. Aber aus Zorn soll keine Sünde, kein Hass entstehen. Nichts, was wir nicht rückgängig machen könnten.

Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes,

das den, der es braucht, stärkt, und dem, der es hört, Nutzen bringt.

Das erinnert an die Geschichte von Sokrates, der jede Aussage daraufhin überprüfen ließ, ob sie zugegleich wahr, nützlich und gut ist. Sonst hörte er einfach nicht hin. Macht das ebenso!

Unsere Gemeinde soll kein Ort von Menschen sein, die weißgekleidet immer mit einem Lächeln auf den Lippen versuchen, tolle Menschen zu sein! Meidet solche Orte der Heuchelei!

Wendet euch aber dahin, wo ihr mit allen euren Problemen ernstgenommen werdet. Wo es wirkliche Unterstützung gibt, zB in unseren evangelischen Kindergärten. Wo die Probleme von Liebe und Ehe nicht übertuscht werden, sondern auch in verfahrensten Situationen eine wirkliche Lösung und Vergebung und Erneuerung angestrebt wird wie in unseren Beratungsdiensten.

Geht in die Gemeinden, die ihre Konflikte offen austragen, sei es manchmal eben auch über Leserbriefe und Facebook – aber wendet euch nicht ab, sondern verfolgt auch die Lösungen, zB unsere gemeinsame Erklärung zu interreligiösen Arbeit in unserer Stadt.

Und was für Supermänner gibt es in unsrer Gemeinde und noch viel mehr Superfrauen! Die ihre Angehörigen pflegen und Kranke und Alte besuchen, die Kinder betreuen und erziehen, die Hilfsprojekte in aller Welt über Jahrzehnte fördern, die Flüchtlingen eine Heimat geben, die Gott loben und sich freuen in der Musik, die miteinander das Wort Gottes studieren und auslegen in tiefer Dankbarkeit und Ehrfurcht als Pfarrer und Prädikanten!

Helden des Alltags wurden sie in der Corona-Krise genannt!

Und diese Heldinnen des Alltags in unserer Gemeinde ziehe ich allen Supermännern vor, die immer recht haben und alles andere vernichten und am Ende noch unseren Applaus suchen.

Schluss: DER NEUE MENSCH in Luthers Kleiner Katechismus mit immer demselben Gott Israels und dem Vater Jesu  – DER NEUE MENSCH ist wie Gott uns als Bilder Gottes geschaffen hat. So alltäglich!

Das Zweite Hauptstück. Der Glaube. Der Erste Artikel. Von der Schöpfung

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Was ist das?

Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.

Glaubst du das?

Und wenn wir gemeinsam antworten –

Das ist gewißlich wahr.

Dann hat das neue Leben längst begonnen und wir sind auf dem guten Weg zum Reich Gottes in Christus unserem Herrn.

Er bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm!

AMEN