Konzertgottesdienst mit dem Projektchor

Sonntag, 7. April 2024 I 9.15 Uhr I Johanniskirche

Der Projektchor „Sing mit!“ ist gestartet und das Gemeindehaus Christuskirche ist donnerstags nun gefüllt mit zahlreichen singbegeisterten Menschen. Die Freude am gemeinsamen Singen ist unüberhörbar und absolut ansteckend.

Der Chor wird im Rahmen des Gottesdienstes als Abschluss des Projektes moderne Stücke singen, die in der sechswöchigen Probenphase unter der Leitung von Mirjam Decker erarbeitet werden. Dazu laden wir ganz herzlich ein.

Anschließend kann man den Vormittag beim Kirchenkaffee ausklingen lassen.

3. Fastenpredigt „Führen und geführt werden“ mit Michael Zirlik, Johanneskirche Lauf 2024

Liebe Gemeinde, liebe Familie und Freunde, liebe Weggefährtinnen und -gefährten, liebe Schwestern und Brüder in Gott!

Mehr als 100.000 Ergebnisse zeigt uns Amazon, wenn wir nach dem Begriff „Führung“ suchen. Aber wer hätte gedacht, dass wir ausgerechnet mit der Heiligen Schrift eines der ältesten Bücher überhaupt zu diesem Thema in der Hand halten!?

Predigt Mitschnitt

Ich lese das heutige Predigtwort, den Wochenspruch bei Johannes 12,24:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Und wer hätte gedacht, dass gerade dieser Satz Impulse geben kann für so viele, aktuelle Fragen, die sich uns bei der Führung von Menschen heute stellen. Mit Führung haben wir alles so unsere Erfahrungen gemacht: Wenn uns z.B. Menschen als Mitarbeitende in der Arbeit anvertraut sind, wenn wir als Verantwortliche z.B. in einem Verein oder in einer politischen Initiative mit anderen zusammen etwas erreichen wollen, oder wenn wir unsere Kinder und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben führen. Aber auch, wenn wir selber geführt werden und vielleicht nicht immer glücklich sind mit dem Handeln unserer Chefs! Eine kleine Anekdote: Jemand hat mir mal gesagt er habe den Eindruck, sein Chef handle nach dem Motto – Achtung, ich zitiere wörtlich: „Erfolgreiche Führung ist es, wenn Du Mitarbeitende möglichst geschickt über den Tisch ziehst und sie die dabei entstehende Reibungshitze auch noch als Nestwärme empfinden!“

Ja, diesen Typus Führungskraft gibt es sicher auch, aber insgesamt können wir schon feststellen, dass Menschen, die für Andere Verantwortung tragen, heute ganz schön unter Druck sind: Zerrissen zwischen den vielfältigen Erwartungen, die an sie gestellt werden kommen sie oft selber kaum mit den schnellen und vielen Veränderungen in unserer Welt hinterher und sollen dann auch anderen dabei noch Vorbild sein. Dazu der unglaubliche Druck, es „richtig“ zu machen, Ergebnisse und Erfolge zu erzielen. Aus meiner Erfahrung als Coach kann ich berichten: Viele Führende fühlen sich heutzutage bildlich zusammengequetscht wie die „Nermbergar Brodwerschd zwischen den Weggla – Hälften“. Spass beiseite, hier geht`s auch nicht um „eine Runde Mitleid“, sondern darum, einfach mal sachlich wahrzunehmen, dass heutzutage eben viele Eltern erschöpft, viele Ehrenamtlich Verantwortliche frustriert und viele Führungskräfte gerade mittlerer Ebenen extrem burnoutgefährdet sind. Neueste Studien belegen dies.

Und doch glaube ich, dass diese „Krise der Führung“ auch etwas damit zu tun hat, welches Bild von Führung uns leitet: „Ich muss meinen Laden / mein Team im Griff haben“, „Ich muss immer präsent und verfügbar sein“, „Ich muss motivieren und manchmal auch mit Druck arbeiten, um die Ziele zu erreichen.“, „Ich muss immer stark sein, wissen, wie der Hase läuft und darf keine Fehler machen“, Wir merken schon beim Aufzählen, wie anstrengend sich all das anfühlt. Und die Frage taucht auf: ist das noch zeitgemäß?

Wie also könnte ein Impuls für eine andere, lebendigere, menschlichere und gleichzeitig erfolgreiche Führung aussehen?

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Passend zu dem frühlingshaften Wetter stellen wir uns mal einen richtig schönen großen Garten vor. So mit Blumen, Sträuchern, Bäumen, Zier- und Nutzpflanzen usw.: Nach einem eher klassischen und traditionellen Verständnis von Führung sehen wir dort heute Gärtner und Gärtnerinnen, die milimetergenau säen, sofort jedes nicht geplante Gräschen rausrupfen, mit dem Lineal permanent das Wachstum messen, und vor allem an jedem Blümchen täglich kräftig ziehen, damit es möglichst schnell und in die richtige Richtung wächst.

Aber: Wer auch immer schon mal in einem Garten zu tun hatte, weiß doch, dass es so nicht funktioniert. Stattdessen: Dem Garten eine Struktur und Aufteilung geben, bewusst ansäen und dann vor allem: richtig bewässern, für genügend Licht und Luft und guten Boden sorgen und vielleicht mal mit einem Rankhölzchen stabilisieren und ab und zu mal düngen. Der Rest geschieht ganz von allein.

Wie wäre es, wenn wir uns auch in der Führung von Menschen genau darauf konzentrieren:

Einen Rahmen setzen, Orientierung bieten und alles dazu tun, dass andere bestmöglich wachsen, sich entfalten und Früchte bringen können? Wenn wir uns als Führende also nicht jeden Morgen fragen „Wie bringe ich heute andere dazu, dass sie machen, was ich will?“, sondern stattdessen „Was kann ich heute für andere tun, damit sie sich persönlich weiterentwickeln und die gemeinsamen Ziele bestmöglich erreicht werden können?”

Der heute so populäre Ansatz des “Servant Leadership, der “Dienenden Führung” stellt genau dieses Denken in den Mittelpunkt. Dienen – nicht als unterwürfige Handlung verstanden, sondern als einen Dienst leisten für andere – auf Augenhöhe. Kein Geringerer als Jesus selbst löst diesen scheinbaren Widerspruch zwischen Dienen und Führen auf, wenn er in Markus 10,42 sagt: “…wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein“.

Es war vor vielen Jahren. Eine damals noch recht junge Mitarbeiterin von mir hatte drei Wochen Urlaub am Stück beantragt und auch genehmigt bekommen. Etwa einen Monat vorher kommt sie plötzlich zu mir und sagt: „Hr. Zirlik, ich möchte gerne davor noch eine weitere Woche Urlaub dranhängen.“ Ich hab erst mal innerlich geschluckt, denn eigentlich brauchte ich diese Mitarbeiterin dringend und ich musste sie ja ohnehin schon 3 Wochen entbehren. Und ich brauchte sie: Sie war eine gute und wichtige Mitarbeiterin! Was also tun? Spontan hätte ich entweder zähneknirschend genehmigen, oder mit Verweis auf betriebliche Gründe ablehnen können, halt in der Hoffnung, dass sie ein Einsehen hat. So aber dachte ich mir: Nimm Dir erst mal Zeit, komm ins Gespräch und hör vor allem gut zu. Wir hatten ein sehr vertrauensvolles Arbeitsverhältnis und so fragte ich Sie auch, was sie denn im Urlaub vorhätte. Und siehe da: Irgendwann fiel bei Ihr der Satz „ich brauche diese zusätzliche Woche, weil ich so gestresst und überlastet bin von der Arbeit! Es wird mir alles zu viel!“.

„Ok“ sag ich, „da sieht die Lage schon anders aus! Ich mach Dir mal einen Vorschlag (Wir hatten damals schon die „Duz – Kultur“): Ich verrate Dir jetzt ein paar Tricks und Methoden, wie Du Dich effizienter organisieren kannst und vor allem sprechen wir auch darüber, was Du künftig VON MIR brauchst, um mit hoher Arbeitsbelastung, die wir ja immer wieder haben werden, besser klar zu kommen. In drei Wochen schauen wir nochmal darauf, ob sich die Situation gebessert hat und entscheiden dann nochmal gemeinsam über den Urlaub.“ Zum Glück ließ sie sich auf diesen Vorschlag ein und wir gingen gut eine Stunde intensiv – wie man so schön sagt – „über die Bücher“ miteinander. Und siehe da: Nach drei Wochen hatte sich die Situation deutlich gebessert, die zusätzliche Urlaubswoche konnte von der Mitarbeiterin zu einem anderen, auch für sie selbst viel sinnvolleren Zeitpunkt gelegt werden und nicht nur das: Es war wie eine Initialzündung! In den folgenden Monaten hat diese Dame sich zu einer super produktiven, selbstbewussten, perfekt organisierten Mitarbeiterin entwickelt. Sie hat von sich aus zusätzlich weitere, anspruchsvollere Aufgaben übernommen und ist förmlich über sich hinausgewachsen. Sogar so weit – Ironie der Geschichte – dass sie uns eines Tages leider verlassen hat, um eine andere, noch anspruchsvollere Position wahrzunehmen.

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Zugegeben: Mit Blick auf die Führung von Menschen kann man über das Wort „Sterben“ in diesem Satz schon ganz schön stolpern. Aber ist es nicht so: Das Weizenkorn ist ja nicht im biologischen Sinne „tot“, sondern es verändert sich grundlegend, d.h. unter dem Einfluss von Nährstoffen, Wasser und den lockenden Sonnenstrahlen beginnt es zu keimen, zu wachsen und etwas völlig Neues hervorzubringen. Ein höchst lebendiger und natürlicher Vorgang also. So geht es auch in unserem heutigen Führungsverständnis in erster Linie doch darum, zu Veränderung anzustoßen, Entfaltung zu ermöglichen und Neues in die Welt kommen zu lassen.

Nun, Sie alle werden dem sicher zustimmen. Aber jetzt mal Hand auf`s Herz und ehrlich:

  • Wem fällt es wirklich leicht, wenn z.B. die eigenen Kinder vollkommen andere Wege gehen, als wir für sie gedacht hatten?
  • Wie souverän sind wir wirklich, wenn andere unter unserer Führung Ideen entwickeln, die so viel besser sind als unsere eigenen?
  • Fördern wir wirklich andere Menschen konsequent, auch dann noch wenn sie drohen, plötzlich besser als wir selbst zu werden?
  • Wie bereit sind wir, die Werte der jungen Generationen auch als Bereicherung für unsere Gesellschaft und Arbeitswelt zu betrachten, anstatt nur immer darüber zu schimpfen und zu klagen, dass diese Generation ja angeblich nur zu faul zum Arbeiten sei?
  • Wie gut sind wir überhaupt darin, Kontrolle abzugeben, Unsicherheit auszuhalten und demütig anzuerkennen, dass wir eben auch als Führende nicht „alles im Griff haben“ können?

An diesen Beispielen sehen wir, dass dienende Führung nicht irgendwelche Sozialromantik ist, nicht irgendein Feelgood – Management. Vielmehr geht`s hier um essenzielle Fragen.

Denn:

  • Wir brauchen junge Leute, die gelernt haben, eigenständig und verantwortungsvoll ihren eigenen Weg zu gehen, wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen.
  • Wir brauchen in unseren Unternehmen Innovationen, wenn wir auch künftig wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich sein wollen
  • Und ja, wir brauchen endlich auch in unseren Kirchen – gleich welcher Konfession – kräftige, ja vielleicht auch manchmal schmerzhafte Veränderungen und mutige, grundlegende Neuerungen, wenn wir auch künftig noch die Menschen erreichen und in der Gesellschaft relevant sein wollen.

Machen wir uns nichts vor: Die Entwicklung hin zu echter, dienender Führung ist nicht einfach und geht vor allem nicht von heute auf morgen. Manche Menschen wollen vielleicht auch zunächst gar nicht so viel Selbstverantwortung übernehmen, sondern wollen lieber die charismatische, heldenhafte Führungskraft, die ihnen genau sagt, was sie zu tun haben.

Eine Führungskraft erzählte mir: „ich wollte in meinem ambulanten Pflegedienst schon lange mehr Verantwortung in die Teams delegieren. Die Mitarbeitenden sollen selber entscheiden, wie sie ihre Dienstpläne gestalten und wann sie Urlaub machen usw. Aber alle haben mir immer wieder erzählt, dass das bei uns nie funktionieren würde. Und dann kommt dieser niederländische Pflegedienst „Buurtzorg“ und macht genau das und man sieht: Es kann doch funktionieren! Aber ich hatte damals einfach nicht die Kraft dazu…“

Auch im heutigen Predigttext wollen die Griechen Jesus sehen, hellenistisch bedeutet dies den Halbgott, den Held, den Sieger. Doch Jesus lässt sich auf diese(!) Führungsrolle nicht ein, sondern konfrontiert sie mit der einfachen, aber tiefgreifenden Wahrheit:

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“.

Ein Satz, ausgesandt wie ein Lichtstrahl vor Jahrtausenden. Er scheint in unsere Gegenwart und leuchtet in die letzten Winkel unserer heutigen Zeit, die so von Polarisierung und Zukunftsangst geprägt ist. Und er hat damit persönliche, gesellschaftliche und politische Bedeutung.

Denn welch großartiges Bild Gottes scheint in diesem Satz auf!

Ist es nicht ein Gott, der uns zuruft: „Mensch, erkenne Deine Talente, mach was aus Dir!

Werde nicht träge und richte Dich nicht gemütlich in Deiner Blase ein. Sondern brich auf! Du bist für den Weg geboren!“, wie es in einem alten Pilgerruf heißt. „Komm raus aus Dir und finde Begleiter, Brüder und Schwestern. Werde in der Begegnung mit anderen Menschen zu dem, der Du sein kannst. Blühe auf, gestalte mit und bring reiche Frucht!“

„Sei mutig und hab keine Angst vor Veränderung: Veränderungen gehören nicht nur zum Leben dazu, sondern Veränderungen SIND das Leben! Nur was tot ist verändert sich kaum noch.“

„Und schenke bitte jenen Anführern keinen Glauben, die Dir weismachen wollen, wir könnten die vielen Krisen unserer Zeit und der Zukunft bewältigen, indem wir einfach so weiter machen wir bisher.“

Ist es nicht ein Gott, der uns alle Freiheit dieser Welt schenkt, unser Leben und unsere Welt in Verantwortung selbst zu gestalten und der uns mit der heiligen Schrift eine Idee, ein Bild – im Managerdeutsch würde man sagen „Eine Vision“ – davon vermittelt, wie dieses Leben gut gelingen kann?! Seine Gebote z.B. sind doch keine Gesetze, bei denen uns im Jüngsten Gericht detailliert aufgerechnet wird, wie oft wir uns im Wortlaut daran gehalten haben oder nicht. Sondern sie sind aus meiner Sicht „Life Hacks“ für gelingendes Leben, wenn wir uns ihren Sinn erschließen!

Ein Beispiel? Wenn wir lesen „Du sollst nicht falsch aussagen“, dann ist es natürlich trotzdem in Ordnung, wenn wir auf die schnelle Frage „Na, wie geht`s“ antworten mit „Alles gut“, anstatt all unsere Sorgen und Nöte dem anderen vor die Füße zu kippen. Aber wenn wir lesen „Du sollst nicht töten“, dann könnte das vielleicht im tieferen Sinne auch bedeuten:

„Fang am besten gar nicht erst damit an, Misstrauen und Hass gegen bestimmte Menschengruppen zu säen. Fantasiere nicht damit rum, ihnen die Zugehörigkeit zu unserer Gemeinschaft abzusprechen. Und unterstütze auch jene nicht, die genau das tun!“

Und schließlich: Ist es nicht ein Gott, der uns ermuntert, zutraut und auch zumutet, unseren eigenen Weg zu gehen, anstatt nur irgendwelchen Trends und Moden hinterher zu laufen?! Und der uns dabei durch kleine, oft unscheinbare Ereignisse, berührende Begegnungen und weitere, sogenannte „Zufälle“ in unserem Leben praktische „Wegweiser“ und „Hinweisschilder“ für unseren Lebensweg gibt. Wir müssen sie manchmal nur aufmerksam wahrnehmen und lesen.

Denn darum geht es doch letztlich auch heute in unserer Predigt: Wir führen nicht nur andere Menschen oder werden von diesen geführt, sondern wir alle führen zuallererst mal auch uns SELBST! Und nur wer sich selbst gut führen kann, kann auch andere gut führen!

Liebe Schwestern und Brüder,

Ich wünsche uns allen, dass uns diese Selbstführung gelingt und wir uns dabei auch vertrauensvoll in die Führung Gottes hineinbegeben können.

Ich wünsche allen, die von anderen Menschen geführt werden, dass sie manchmal auch etwas Nachsicht mit Ihren Chefs haben, aber dass Sie auch den Mut finden, unpassendes Verhalten und Misstände offen anzusprechen, denn ja: auch und gerade Führungskräfte brauchen diese Rückmeldung manchmal!

Und ich wünsche allen, die Verantwortung für andere Menschen tragen, dass Sie gute Gärtnerinnen und Gärtner sein mögen in einem Garten, der reiche, schmackhafte und vielfältige Frucht bringt.

“Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.”

Amen

Führen und geführt werden. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. 2. Fastenpredigt von Ulrike Knienieder-Glimpel. 3.3.2024 in der Johanniskirche Lauf

(Es gilt das gesprochene Wort)

Führen und geführt werden ist ein Thema das mir sehr am Herzen liegt, es beschäftigt mich, so kann ich es sagen, schon mein Leben lang und hat mein Leben geprägt. Durch meinen Werdegang habe ich die betriebswirtschaftliche Seite der Führung sehr gut kennengelernt, die unterschiedlichsten Definitionen von Führung, Führungsaufgaben, Führungskonzepten und Führungsstilen. Zum einen in der Theorie und zum anderen auch in der Praxis. Viele Menschen machen sich über dieses Thema Gedanken.  So entstehen immer wieder neue Modelle und Konzepte, weil sich die Zeit immer wieder ändert.

Jeder von uns hat sein eigenes Bild, seine eigenen Vorstellungen von Führung, seine eigenen Erwartungen und Wünsche an eine Führungskraft. All diese unterschiedlichen Bilder sind von den ganz eigenen persönlichen Erfahrungen geprägt die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben, mit den Eltern, der Schule, der Ausbildung, im Beruf.

Und auch ein Mensch der in der Rolle als Führungskraft tätig ist, hat sein eigenes persönliches Verständnis von Führung, von seiner Rolle. Die Art und Weise wie jemand führt hängt ebenfalls von seinem Selbstbild, seinem Wesen, seinem Menschenbild ab und von der eigenen Lebensgeschichte.

Führen und geführt werden sind dabei eng miteinander verwoben, denn jeder Mensch der führt wird auch gleichzeitig geführt. Im Unternehmen sind das die MitarbeiterInnen, die Kunden, das Umfeld in dem das Unternehmen agiert. Die Zeit in der wir leben, die äußeren Umstände auf die wir keinen Einfluss haben, führen ebenfalls.

Da habe ich mich gefragt wann geschieht Führung? Was ist der Kern, die Grundlage der Führung?

Für mich ist Führung ist mehr als eine Methode, mehr als ein Konzept. Führung ist eine Haltung, denn Führung geschieht mit Menschen und zwischen Menschen.

Das Herz eines jedes Unternehmens sind die Menschen.  Die Kernaufgabe der Führung ist die Gestaltung des Zusammenspiels der Menschen und die Gestaltung der Rahmenbedingungen, so dass jeder Mensch mit seiner jeweiligen Persönlichkeit und Fähigkeit die Chance hat erfolgreich zu sein. Das beschreibt eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens.  Zwang und Druck hemmen, schränken ein. Um Ziele umzusetzen, kreativ zu sein, ist Angst das ungeeignetste Führungsinstrument.

Führung braucht den Kontakt zum Menschen, die Begegnung auf Augenhöhe. Gute Führung legt niemanden auf seine Fehler oder Grenzen fest, sondern sieht in jedem Menschen den guten Kern, nimmt den Menschen wahr so wie er ist. Das verlangt gleichzeitig nach der Fähigkeit das Andersartige und Vielfältige ohne zu werten oder bewerten auszuhalten. Es geht Mitmenschlichkeit.

Das wirksamste Mittel der Führung ist das Gespräch, das Gespräch miteinander, nicht das Gespräch übereinander. Ein Gespräch, das zugewandte Zuhören schafft Verständnis. So entdeckt man die Wahrheit und die Perspektive des anderen. In einem Gespräch lässt sich erklären warum die Aufgabe wichtig ist, warum etwas erledigt werden muss.  Das schafft Klarheit und Vertrauen.

Führung geschieht nur wenn der Andere sich führen lässt.

Das was ich hier beschreibe klingt wohl eher nach einer Idealisierung, einer Romantisierung der Führung.  Wie soll das im unternehmerischen Alltag denn gelingen? Menschen fördern, gerecht sein, gleichzeitig Entscheidungen durchzusetzen, Härte zu zeigen und dabei stets sowohl den Menschen als auch das Unternehmen in seiner Gesamtheit im Auge zu behalten.

Geht es im Unternehmen nicht eher um Gewinn, Umsatz, Gewinnung von Marktanteilen, Erschließen neuer Märkte? Um Erfolg?

Wer oder was verleiht mir das Vertrauen mit den Widrigkeiten und Unsicherheiten der momentanen Zeit zurecht zu kommen? Welche Kraft sorgt dafür das ich die Welt die mich umgibt mit Zuversicht betrachte, an die Zukunft glaube, an das Gute glaube?

Liebe und Führung eines Unternehmens, Liebe und Führung in einem Unternehmen das widerspricht sich, hört sich im ersten Moment fremd an. Kann das funktionieren und vor allem wie funktioniert das?

Die Liebe ist eine Kraft, eine Kraft die aus dem Herzen kommt. Sie findet im Arbeitsalltag sehr wohl ihren Raum. Sie gibt Leitlinien vor, gibt Orientierung bei der Entscheidungsfindung. Sie lässt einen fühlen was richtig und falsch ist. Denn Entscheidungen oder Handlungen die gegen die Liebe laufen lassen sich nicht treffen bzw. ausführen. Sie hilft dabei Ja zu sagen oder Nein und Grenzen zu setzen.

Als Supervisorin führe ich bei uns im Unternehmen Gespräche mit Mitarbeiter/innen die nach längerer Krankheitszeit wieder im Unternehmen arbeiten. Es geht unter anderen auch um die Fragen nach der Gestaltung des Arbeitsplatzes.

In einem dieser Gespräche war ein Mann bei mir der immer wieder längere Krankheitszeiten hatte. Er hatte seinen Arbeitsplatz im Büro, seine Aufgabe war die Disposition und Koordination von Aufträgen. Im Rahmen dieser Aufgaben hatte er auch mit anderen Abteilungen bzw. mit anderen Kollegen zu tun. Mit den Kollegen in den anderen Abteilungen gab es immer wieder Ärger. Im Laufe des Gesprächs kamen wir auch auf private Dinge zu sprechen. Er erzählte mir wie gerne er an seinem Auto schraubt und in seinem kleinen Garten arbeitet. Als er darüber sprach habe ich seine Augen strahlen sehen. Und dann sagte er, er würde so gerne mit seinen Händen arbeiten, nicht nur im Büro sitzen wollen. Es war klar, er braucht eine andere Aufgabe. Es hat eine Weile gedauert, bis ein entsprechender Arbeitsplatz frei war doch dann hat es geklappt. Und wenn ich ihn bei uns im Hof treffe, dann strahlen seine Augen.

Würde ich diesen Mitarbeiter rein unter Leistungsgesichtspunkten beurteilen, wäre das ein Kollege mit hohen Krankheitstagen, der Ärger mit anderen Kollegen hat. Da wären die nahe liegenden Gedanken, er erfüllt die Erwartungen nicht, bringt die Leistung nicht, ganz einfach er passt nicht.

Ein anderer Weg einen Menschen zu „beurteilen“ ist das Strahlen in den Augen, ihn zu sehen. Natürlich gibt es auch Menschen die sich dazu entschlossen haben nur unzufrieden zu sein. Deren Augen leuchten ganz selten oder nie. In diesen Fällen führt kein Gespräch zum Erfolg und auch das gilt es anzunehmen.

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür den Alltag im Beruf mit anderen Augen zu betrachten.

Die Liebe eröffnet eine andere Sichtweise auf den Menschen.

Von welcher Liebe rede ich?

Es geht hier nicht um die romantische Liebe zwischen Mann und Frau. Die Liebe von der ich rede beginnt in den eigenen Gedanken und Gefühlen. Es ist ein Gefühl der Verbundenheit, der Dankbarkeit, der Freude, des sich lebendig Fühlens. Es ist eine Kraft die die Gewissheit gibt aufgefangen und getragen zu werden, eine Kraft die Angst überwindet und Zuversicht schenkt.

Führung im Unternehmen hat immer mit der eigenen Lebensführung zu tun, mit der Verantwortung die ich für mein Leben übernommen hat. So wie ich mich selbst führe, führe ich auch andere Menschen. Führung ist eine Haltung.

Selbstführung bedeutet einen guten Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen, die Fähigkeit meine eigenen Gedanken und Verhaltensweisen von außen, von einer anderen Position aus zu betrachten. Dinge zu erkennen, wahrzunehmen, sie annehmen und wenn ich sie verändern kann dann zu verändern. Es geht um die Freundschaft mit mir selbst.

Die Fragen: Was schenkt mir Freude? Was begeistert mich? Was sind meine Talente um das zu verwirklichen? Wie lebe ich meine Wünsche, Träume, Ziele im Alltag? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen zeigen mir den Weg, geben die Richtung vor.

Diesen Weg zu gehen gelingt mir mal gut, mal weniger gut gelingt und lässt mich so manches Mal auch stolpern. Immer gilt dieser Weg ist mein Ziel.

Selbstführung bedeutet Selbstvertrauen, das Vertrauen in die eigene Intuition, das Vertrauen in die Stimme des Herzens. Dafür braucht es Mut.

Wer in der Liebe ist, der ist in Gott und Gott in ihm.

Es ist ein Spruch der mein Herz berührt hat, der mir Orientierung für mein Handeln gibt, der mein Führungsverständnis und mein Bild von den Menschen prägt. Dieses Gefühl, das Vertrauen und die Gewissheit von Gott geführt zu werden, bereichert mein Leben, schenkt mir viel Freude, Herzensruhe und schließlich auch Freiheit.

Ulrike Glimpel-Knienieder

Führen und Geführt werden: die eherne Schlange 4. Mos 21: Dekanin Berthild Sachs, Schwabach

Sonntag Reminiscere (25.02.2024) Johanniskirche Lauf. Fastenpredigt zu 4. Mose 21, 4-9

„Führen und Geführtwerden“ Johanniskirche Lauf a.d. Pegnitz, 9:15 Uhr Dekanin Berthild Sachs, Schwabach

Liebe Gemeinde unterwegs in der Fastenzeit,

be midbar – in der Wüste, so beginnt das 4. Buch Mose. Und, ja, es versetzt uns gedanklich in die Wüste. Aber nicht so, wie ich es auf Reisen erleben durfte: als komfortables Kameltrekking in der Sahara oder als Exkursion auf dem Sinai, mit Sternenhimmel nachts und überwältigenden Farben am Tage.

Wüsten sind lebensfeindliche Orte. be midbar – das hieß und heißt: mitten in der Todeszone. Verdurstende Flüchtlinge in der mexikanischen oder der libyschen Wüste zeugen davon bis heute. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde das Volk der Armenier aus der Türkei in die syrische Wüste vertrieben, ein Todesmarsch, den hunderttausende Armenier nicht überlebt haben.

Im Alten Testament ist es das Volk Israel. 40 Jahre Wüstenwanderung liegen zwischen der Flucht aus Ägypten und dem verheißenen Land. Machen wir uns klar, was das heißt: Eine ganze Generation kennt nichts anderes als Wüste, Schwitzen und Frieren, Durst und Todesangst, Unterwegssein, Rasten, Aufbrechen, Weiterziehen. Am Anfang trägt sie noch die Euphorie der Befreiung, der wunderbaren Rettung.

Aber dann – und davon erzählt das 4. Buch Mose – häufen sich Krisen und Katastrophen: Miriam, Moses Schwester, erkrankt an Aussatz und stirbt. Auch Aaron, Moses Bruder und rechte Hand, stirbt. Die Stimmung im Volk ist am Tiefpunkt. Feuer bedrohen immer wieder das Lager und fordern Opfer. Bedrohliche Gerüchte machen die Runde. Streit entflammt, ob das ganze Unternehmen „Gelobtes Land“ überhaupt Sinn macht. Umwege werden notwendig, es geht nicht vorwärts, viele fürchten: „So kommen wir doch nie an!“ Kurz: Das Volk Israel ist mit seiner Kraft und Geduld am Ende. Sie können nicht mehr. Sie haben es satt. Sie lassen sich so eine Führung nicht länger bieten. Ich lese den Beginn unseres Predigttextes aus 4. Mose 21, 4-5

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.

Liebe Gemeinde, be midbar – in der Wüste: ich vermute, im übertragenen Sinn kennt jeder von uns so was wie Wüstenetappen im Leben: Wenn hinter jedem Schritt ein neues Problem, eine neue Krise und Katastrophe lauert. Kein Weg raus führt. Kein Licht am Horizont aufscheint. Wenn Lebenshunger, Lebensdurst viel zu lange ungestillt bleiben. Ihr Konfis kennt das womöglich auch: Überdruss, Ekel vor dem täglichen Einerlei: Schule, Hausaufgaben, Lernen, Druck, Ärger, keiner, der einen versteht, die bohrende Frage, wozu das alles überhaupt gut sein soll.

Auch unsere Gesellschaft erlebe ich manchmal wie unterwegs durch eine endlose Wüste, von Krise zu Krise: Da war erst Corona mit all den Zumutungen, all dem Verzicht, den diese Jahre uns abverlangt haben. Dann der Ukrainekrieg mit seinen fatalen Folgen bis zu uns: Energiekrise, Inflation, Haushaltskrise, Wirtschaftskrise. Kein Wunder, dass Krisenmodus zum Wort des Jahres 2023 wurde! Nach Jahren immer steigender Sorglosigkeit und Sattheit nun: Willkommen be midbar – in einer gefühlten Wüste!

Und eine letzte Parallele drängt sich mir auf: Auch in unserer Kirche beschleichen manche solche Wüstengefühle. Wir hatten uns ja ans üppige Wachsen der kirchlichen Saat und an sprudelnde Quellen an Geld, an Ehren- und Hauptamtlichen gewöhnt. Und nun erleben wir, wie Pfarrstellen und Arbeitsfelder immer länger brach liegen, wie vielen Engagierten die Luft ausgeht, Gemeinden ausdünnen, sonntags die Plätze leer bleiben, wie auch die geistliche Nahrung manchmal karg bleibt und wir immer mehr das Gefühl haben, nur noch Mangel zu verwalten.

be midbar – in der Wüste, wenn das Leben auf dem Spiel steht, verändern sich Menschen, verändert sich das zwischenmenschliche Klima. Das Gefühl, selber zu kurz zu kommen, wird übermächtig. Die Vergangenheit, das Früher, wo doch alles besser war, wird verklärt. Die Zukunft wird in schwärzesten Farben heraufbeschworen. Schuldige werden gesucht. Fake News und Verschwö-rungstheorien haben Konjunktur. Die da oben wollen unseren Untergang. Gott schickt uns ins Verderben.

Das Gift des Misstrauens sickert in die Herzen, es entzweit und entsolidarisiert. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Es gibt nur noch weiß oder schwarz. Trillerpfeifen werden ausgepackt, andere Meinungen niedergebrüllt. Traktoren heulen auf, Menschen werden an den Galgen gewünscht, Zukunft wird für tot erklärt. Und dann – schleichend und tödlich wie Gift – wird genau das, wovor man Angst hat, was das Denken so beherrscht, dadurch Realität! Ich lese weiter 4. Mose 21, 6+7.

6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.

Ich mache einen kleinen Schwenk zu Mose. Wie es ihm wohl erging – so als Zielscheibe aller Kritik? Er hatte doch bisher so oft mit Gottes Hilfe das Ruder rumreißen können. Er hatte Auswege gefunden, bis zur Erschöpfung nachts gebetet, gefleht, er hatte versucht, Ordnung zu halten und Orientierung zu geben, in und trotz all der Krisen. Und nun sieht er, wie das alles umsonst war und sich in Panik auflöst – Schlangenplage, Todesangst, immer mehr Opfer. So tu doch was, Mose! Du und dein Gott, ihr habt uns das doch eingebrockt! So haben wir es nicht gewollt …

Was hilft da? Reden, Beschwichtigen, Trostpflaster verteilen? Eine Regierungserklärung mit 5-Punkte-Plan zur Eindämmung der Plage? Ausgangssperre? Eine abendliche Ansprache in militärischem Olivgrün, markige Sprüche: Wir geben nicht auf, wir werden siegen? Den Retter und Helden spielen: Keine Sorge, wir haben die Lage im Griff?

Ich glaube, Mose wusste genau: Gegen Gott und gegen diese Wut der Menschen hat er keine Chance. Da hat er nichts in den Händen, kein Gegengift, keine Ärzte, keine Schlangentöter, die die tödliche Gefahr eindämmen könnten. Übermenschliches wird von Mose verlangt.

Vielleicht ist es die wichtigste Fähigkeit für Führungs-kräfte, dass sie sich eingestehen, wo sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen. Mose weiß darum – übrigens nicht zum ersten Mal. Er selbst hatte an seiner Führungsstärke immer wieder gezweifelt. Und dann auf Gott gesetzt. Auf Gottes Lösung gehofft. Auf Gott gehört und sich etwas sagen lassen. So auch diesmal: 4. Mose 21, 8-9

8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Ob Mose kapiert hat, was er da machen sollte und wozu das gut sein sollte? Eine eiserne Schlange auf einem Stab – das befremdet zu Recht, das klingt nach Magie und Harry Potter, erinnert allenfalls noch an die Schlange, die sich bis heute im Apothekenlogo um den Äskulapstab windet. Sieht so also die Apotheke Gottes gegen Schlangenbisse aus?

Versuchen wir, das Ganze einmal symbolisch zu entschlüsseln: Das, was Angst macht, muss vor Augen geführt und angeschaut werden. Wer sich z.B., wie ich, vor Spinnen fürchtet, muss lernen, sie anzuschauen, ganz aus der Nähe, und dem Anblick standzuhalten, statt sich kreischend die Bettdecke über den Kopf zu ziehen.

Wer Angst hat, dass unser Land den Bach runter geht, sollte sich konstruktiv einmischen, mit Zahlen und Fakten, mit Politik, Wirtschaft und Soziologie beschäftigen, sich bürgerschaftlich engagieren und Missstände beseitigen helfen.

Und genauso in unserer Kirche. So sehr es uns schmerzt, wie die Kirchen an Zuspruch und Vertrauen verlieren, so wenig hilft es, das zu leugnen, schönzureden oder sich vor der garstigen, ungläubigen Welt zurückzuziehen. Nein: Kandidier für mitmischen! Kandidier für neue Wege! Stimm für mittendrin! So heißen die aktuellen Slogans für die Kirchenvorstands-Wahlen im Herbst. Will sagen: Eine kleiner werdende Kirche ist nicht der Anfang vom Ende. Auch, gerade sie kann ein heilsamer Hingucker sein, ein ehrlicher Wegweiser, wie Jesus Christus sich das gedacht hat mit dem Sauerteig oder dem Salz der Erde in einer nach Güte und Frieden hungernden Welt.

Und dann steckt in der eisernen Schlange über den Köpfen der Leute eben noch eine zweite, zwingende Symbolik. Wer diese Schlange ansieht, hebt den Kopf. Löst sich aus der Problemtrance, von den Schlangen, die immer noch auf Schritt und Tritt lauern, beißen und schmerzen. Schaut gen Himmel. Heilung beginnt damit, dass wir uns aus der Enge, der Angst, der Ohnmacht, die klein macht und runterzieht, lösen. Und wir dann beginnen, Lebensperspektiven zu entdecken, wo gerade eben noch nur Tod vermutet wurde. Licht, wo eben noch alles dunkel und schwarzgemalt war.

Im Alten Testament ermöglicht Gott den Israeliten diese Blickumkehr zum Heil, indem er Mose ein Schlangenbildnis an einen Pfahl schlagen lässt. Im Neuen Testament, wir haben es im Evangelium (Joh 3, 14-21) gehört, wird dieses alte Symbol dann nochmal geistlich umgedeutet. Aus dem Pfahl wird das Kreuz, an das der Gekreuzigte geschlagen ist. Das Kreuz ist Folter- und Todesinstrument, es zwingt uns hinzuschauen auf sinnloses Sterben, brutales Töten und alles Leid, das Menschen Menschen antun.

Aber im Aufschauen erkennen wir, dass Gott selbst dort leidet, in Jesus Leiden teilt, in Christus sich hingibt in Liebe und Treue. So wird aus dem Kreuz ein Trost- und Kraft- und Heilszeichen. Seht, welch ein Mensch! Seht, da ist Gott – mitten unter uns, mitten in Anfechtung, Angst und Tod. be midbar – in der Wüste, in der Todeszone, da ist Gott in Jesus Christus gegenwärtig, damit wir das Leben haben.

Amen.

Mit Farben durch das Kirchenjahr

Textile Kunst in der Johanniskirche

Paramentenausstellung vom 24. bis 28. Mai

Mittwoch, 24. Mai, 20 Uhr: Vernissage mit Vortrag „Was hängt denn da? Einführung in die Geschichte und Symbolik der Paramente“ von Pfarrer Jan-Peter Hanstein und Musik vom Küttner-Streichtrio

Altäre und Kanzeln bzw. Lesepulte werden in unseren Kirchen schon seit langer Zeit mit farbigen, meist kunstvoll gestalteten Textilbehängen geschmückt, die auch als Paramente bezeichnet werden. Ihre Farben wechseln im Laufe eines Kirchenjahres immer wieder (violett, weiß, grün, rot, schwarz). Über die Neuanschaffungen grüner und violetter Paramente für die Johanniskirche sowie über die Restaurierung und Reinigung der übrigen Sets wurde im „blick“ letztes Jahr mehrfach berichtet. Sie alle, alte und neue Paramente, werden von Mittwochabend, 24. Mai bis Sonntag, 28. Mai (Pfingstsonntag), in der Johanniskirche ausgestellt. Donnerstag bis Sonntag von 11-18 Uhr geöffnet.

Da man sonst immer nur ein einzelnes Paramentenset für Altar und Kanzel aus der Ferne sieht, bietet diese Ausstellung die einzigartige Möglichkeit, alle diese Kunstwerke nebeneinander aus der Nähe zu betrachten und ihre ganz unterschiedliche Gestaltung wahrzunehmen.

Das Programm der Ausstellung im Einzelnen:

Mittwoch, 24. Mai, 20 Uhr:

Vernissage mit Vortrag „Was hängt denn da? Einführung in die Geschichte und Symbolik der Paramente“ mit Pfarrer Jan-Peter Hanstein.

Musik vom Küttner-Streichtrio

Donnerstag, 25. Mai und Freitag, 26. Mai: Besichtigungsmöglichkeit von 11 – 18 Uhr

Samstag, 27. Mai: Besichtigungsmöglichkeit nach der Orgelmusik zur Marktzeit um 11 -18 Uhr

Pfingstsonntag, 28. Mai: Nach dem Gottesdienst um 9.30 Uhr Besichtigungsmöglichkeit bis 18 Uhr.

Heiner Schächtele für das Johannisteam

Muttertagskonzert der Laufer Stadtstreicher

Sonntag, 14. Mai 2023 I 17.00 Uhr I Johanniskirche

Als Eröffnungsstück erklingt das Konzert für Viola und Streichorchester c-Moll von Johann Christian Bach (1735-1782) bearbeitet von Henri Casadesus (1870-1947).

Der 1. Satz beginnt in tänzerisch-barockem Charakter mit einem von zahlreichen Seufzerfiguren geprägten Thema. Im langsamen Satz kann das Soloinstrument seine wunderbare sonore, dunkle Klangfarbe voll entfalten, ausdrucksstark und gesanglich. Besonders eindrucksvoll ist die Stelle, wo eine Sologeige in Korrespondenz mit der Viola tritt. Der 3. Satz, molto energico, verlangt Virtuosität.

Magdalena Arantes, unsre Solistin ist 15 Jahre alt, und spielt schon lange bei den Stadtstreichern mit. Vor einem Jahr wechselte sie ins Musikinternat „Belvedere“ in Weimar, wo musikalisch sehr begabte Jugendliche optimal gefördert werden. Bei „Jugend musiziert“ erhielt sie 2022 im Bundeswettbewerb einen 2. Preis.

Das nächste Werk ist das Marimbaphonconcerto Nr. 1 „Soar“ von Robert Oetomo (geb. 1988). „Soar“ ist eine Verbindung von Klassischer Musik mit Rock´n Roll.

Der 1. Satz steht in Sonatensatzform und ist inspiriert von Strawinskis „Le sacre du Printemps“ mit seinen flotten Sechzehntelketten in den 2. Geigen und synkopische Akzenten in Marimbaphon und den anderen Instrumenten, harmonisch im Stil des Rock´n Roll. Eine Kadenz des Marimbaphons gespickt mit virtuosen Raffinessen leitet zum 2. Satz über. Dieser ist ein sorgenvolles Lamento, bei dem Soloinstrument und Orchester in Dialog treten. Der 3. Satz kombiniert Elemente der vorherigen Sätze mit neuen Effekten, virtuos im Marimbaphon, effektvoll in den synkopischen Pizzicati der Streicher stürmt er dem Schluss entgegen.

Agnieska Engelsdorf (geb. 1984) ist seit vielen Jahren den Stadtstreichern freundschaftlich verbunden. Sie studierte in Stuttgart und Nürnberg und begeistert sich für zeitgenössische klassische Musik für Schlagwerk. Mittlerweile kann sie auf eine erfolgreiche Karriere als Marimbasolistin zurückblicken. Derzeit unterrichtet sie an einer Gesamtschule in Marburg, studiert Lehramt Englisch und konzertiert.

W. A. Mozarts (1756-1791) Sinfonie A-Dur KV 201 entstand 1774 in Salzburg. Sie gilt neben der g-Moll Sinfonie als reifstes Werk dieser Zeit. Zu den Streichern treten nun 2 Oboen und 2 Hörner. Der Charakter des Werks ist heiter, federnd, gelöst, unproblematisch.

Nun kommt das Orchester voll auf seine Kosten!

Wichtigstes Intervall im 1. und 4. Satz ist die Oktav, mit der das Stück auch beginnt. Im 2. und 3. Satz sind punktierte Rhythmen das prägende Element. Ein von Lebensfreude bestimmter Schlusspunkt des Konzertes.

Karten an den Abendkassen erhältlich. Eintritt: 15,00 €, Schüler/Studenten10,00 €

BONHOEFFER-ORATORIUM wegen Krankheit verschoben

Die Aufführung des Oratoriums entfällt am Sonntag, 23. April 2023 um 17.00 Uhr in der Johanniskirche unter Leitung von Silke Kupper mit der Johanniskantorei, dem Jugendchor, Instrumentalisten und Sprecher. Der neue Termin wird zeitnah bekannt gegeben. Der Eintritt ist frei.

Auf sensible Weise spürt das Liedoratorium über Dietrich Bonhoeffer dem Lebensweg und der Theologie Bonhoeffers in ihrer radikalen Entwicklung nach. Dramatisch und verhalten zugleich entwickeln sich die einzelnen Lebensstationen, die mit der Hinrichtung Bonhoeffers knapp einen Monat vor Kriegsende enden und doch zu Hoffnung einladen.

Matthias Nagel, Kirchenmusikdirektor in der Evangelischen Kirche von Westfalen, gelingt es außerordentlich gut, die Liedtexte aufzunehmen und unverbraucht zu gestalten. Kein gängiger Kirchenrock, aber auch keine Nachahmung irgendeiner kirchenmusikalischen Klassik wurde verwendet. Stattdessen entstand Neues, Unverbrauchtes in Lied und Instrumentalbegleitung.

Dieter Stork hat ein eindrucksvolles Textgefüge geschaffen. Spannend entwickeln sich die einzelnen Lebensstationen Bonhoeffers. Kurze Zwischentexte wechseln sich mit den Liedern ab. Einige Liedtexte sind bewusst in Anlehnung an Texte Dietrich Bonhoeffers entstanden, zeigen aber auch stets eine eigene Linie. 

Stationstexte, Texterläuterungen und die Lieder selbst ergeben ein geschlossenes Ganzes, mit dem sich Bonhoeffers Leben und Wirken dem Hörer eindrucksvoll und ermutigend zugleich erschließen. 

Ein Liedoratorium, das „unter die Haut geht”.

Nicole Glamsch

Johanniskantorei und Jugendchor

Sopran: Nicole Glamsch

Flöte: Christine Theuerkauf; Piano: Norbert Gawor; Saxofon: Peter Schwarzer

Trompete: Johannes Stürmer; Drumset: Rainer Weber; Gitarre: Gerhard Stegmeier

Violine: Heidi Braun, Clara Arantes; Viola: Helene Richter; Cello:Daniela Nemski

Sprecher: Michl Zirk

Leitung: Silke Kupper

Predigt zu Kolosser 1,13-20 (V). karfreitag lauf Jan-Peter Hanstein

Es hat Gott gefallen durch Christus alles zu versöhnen

Liebe Gemeinde,

und (sie) sahen das alles!

Alles

Alles zu spät.

Alles zu Ende.

Jesus ist alle.

Ja – alle ist Jesus.

Alles gegeben. Alles verloren.

Aber alle gewonnen!

Warum wärest du sonst da, wenn er dich nicht gewonnen hätte.

Du – hier. Unter dem Kreuz.

Du bist nicht zu Hause geblieben. Das wäre zu einfach gewesen.

Du bist doch kein Besucher, kein Hörer, kein Gaffer, kein Teilnehmer.

Und du bist nicht allein hier. Unter dem Kreuz.

Viele sind da. Heute. Nicht alle. Aber darum geht es ja nicht.

DU GLAUBST. DU FÜHLST. DU WEISST.

So viel mehr. Nämlich alles. Nicht alles ist aus.

Er ist Allen Alles geworden.

Das kann man nicht einfach beschreiben oder erzählen.

Vielleicht eher singen. Wie in dem Lied „Alles“ von Judith Holofernes mit ihrer Band „WIR SIND HELDEN“

Alles ist alles ist alles
Dir ist alles erlaubt und alles gegeben
Alles geglaubt und alles vergeben
Und alles wär drin und alles daneben
Es wär alles ertragen und alles vergebens
Und gut


Und gut?

Ach – so vieles war und ist nicht gut. Was ist alles Unversöhnliche gerade am Karfreitag geschehen unter dem Zeichen des Kreuzes. Hass und Vernichtung statt Versöhnung. Wir gedenken der früher regelmäßig ausbrechenden Progrome, der Hass gegen die Juden als den vorgeblichen Mördern des Gottessohnes. Wie oft wurde Jesus noch einmal gekreuzigt durch die christliche Verfolgung der Juden! Deshalb ist es wichtig, unseren Geschwistern dieser Tage zum Pessachfest Glückwünsche zu übermitteln. Wir beten, dass sie friedlich feiern können. Bei uns in Deutschland und in Israel.

Alles gut unter dem Kreuz? Für unsere islamischen Mitbürger, für die ist das Kreuz das gefürchtete Zeichen unbarmherziger Ritter, die ihre Herkunftsländer überfielen, tausende töteten und ausplünderten und dann noch vom Heiligen Krieg sprachen. Am 9. April, am Ostersonntag nach Sonnenuntergang sind wir Laufer eingeladen mit ihnen das Fastenbrechen in der Moschee zu feiern, mitten im Ramadan. Ich werde hingehen.

Alles ist alles ist alles
Dir ist alles erlaubt und alles gegeben
Alles geglaubt und alles vergeben
Und alles wär drin und alles daneben
Es wär alles ertragen und alles vergebens
Und gut

Nein. Noch nicht alles ist vergeben und vergessen. Wie weit sind wir entfernt von der Versöhnung, die in Christus begonnen wurde. Wie weit entfernt vom Frieden. Geschweige denn von der Erlösung. Weiter als ich es jemals gedacht habe.

Aber ich habe einen Wunsch. Keinen Traum, sondern erfüllbar. Ich werde es erleben!

Vielleicht werde ich nicht warten, bis der Krieg in der Ukraine zu Ende ist, sondern ich werde endlich tun, was ich schon lange wollte: Ich werde in die Ukraine fahren. Natürlich auch nach Winnyzia fahren. Die Freunde Larissa, Valeri und Ingret und viele andere dort besuchen und mit Ihnen in diesem kleinen Gemeindehauskirche das Abendmahl feiern. Valeri wird grillen und wir werden feiern. Verhalten, unter Tränen, mit Sorge und mit der Frage: Wann endlich wird es Frieden geben und wieviel länger noch – bis Ukrainer und Russen sich versöhnen?

Deshalb werde ich weiter fahren bis nach Odessa. Dort steht die alte lutherische St.Pauls-Kirche, mit bayerischer Hilfe 2010 saniert. Wie durch ein Wunder hat sie alle Katastrophen und Kriege  und Zeitenwenden überlebt. Vorne an der Altarwand hängt ein gestiftetes Kruzifix aus Wenzendorf vor einer modernen Wand-Malerei von Tobias Kammerer.

Christus (St. Paul, Odessa, Tobias Kammerer 2002)

Zuerst denkt man an einen Sonnenuntergang. Dann sieht man den großen Blutstropfen vom Himmel und darunter angedeutet der Abendmahlskelch, der diese Flüssigkeit auffängt.

„Dieser Kelch ist der neue Bund durch mein Blut.“

Herzblut. Wie eine blutige Träne Gottes. Dort am Kreuz. Gottes letztes Opfer, das er selbst bringt. Wann werden wir aufhören, andere zu opfern und zu töten um irgendwelcher politischen und religiösen Ziele willen?

Aber die Versöhnung nimmt ihren Weg durch uns. Wer hätte gedacht, dass die Ukrainer jemals uns Deutschen vergeben, nach allem, was ihnen im Dritten Reich angetan wurde.

Martin Luther hat gesagt: Christus ist der „Spiegel des väterlichen Herzens Gottes“ (Luther)

Nur die Kirche, nur die Glaubenden, das ist Gott zu wenig. Die Erlösung steht aus. Darauf warten wir mit allen Glaubenden. Muslime, Christen und Juden.

Vielleicht habt ihr gemerkt, dass wir heute das Glaubensbekenntnis nach dem Evangelium nicht gesprochen haben. Weil der Predigttext so ein Bekenntnis ist. Oder mehr eine Hymne für den, der vor allem war, alles geschaffen hat und allen alles geworden ist und am Ende alles in ihm versöhnt sein wird. Lasst uns diese Worte aus dem Brief an die Kolosser gemeinsam bekennen.

S.1097 im EG: Wir lesen:

Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,

der Erstgeborene vor aller Schöpfung.

Denn in ihm wurde alles geschaffen,

was im Himmel und auf Erden ist,

das Sichtbare und das Unsichtbare,

es seien Throne oder Herrschaften

oder Mächte oder Gewalten;

es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.

Und er ist vor allem,

und es besteht alles in ihm.

Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde.

Er ist der Anfang,

der Erstgeborene von den Toten,

auf dass er in allem der Erste sei.

Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen

und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,

es sei auf Erden oder im Himmel,

indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.

AMEN.

3. Fastenpredigt 2023: “Suchet der Stadt Bestes“ – zum Nachlesen

Die Fastenpredigt vom So, 26.03.2023 Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing zum Nachlesen

Pfarrer Udo Hahn ist bekannt als Rundfunkprediger und Publizist. Er leitet seit 2011 die Evangelische Akademie Tutzing. Er war u.a. Redakteur beim Rheinischen Merkur und Oberkirchenrat der EKD. Für die Fastenpredigt kehrt er zurück zu seinen Wurzeln. In Lauf geboren hat er hier Abitur gemacht, in Neunkirchen am Sand ist er aufgewachsen.

PREDIGT:

Gnade sei mit euch von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

heute auf dieser Kanzel zu stehen, ist ein besonderer Moment. Es ist ein bewegender Augenblick für mich, denn hier zu Ihnen zu sprechen, bedeutet: Ich bin zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Ich bin ein Laufer. Hier hat alles begonnen. Ich bin hier geboren. Und ich habe hier mein Abitur gemacht. Das Staatliche Gymnasium, wie es damals, 1982, noch hieß, hat meinen Horizont erweitert. Die Jahre am Gymnasium waren nicht immer einfach, aber ich verdanke der Schule viele Impulse, die ihre Wirkung erst im Laufe der Jahre entfalten sollten. Ohne diese Schule wäre ich nicht Journalist geworden und hätte auch nicht Theologie studiert.

Wurzeln sind wichtig. Sie geben Stabilität. Es ist gut zu wissen, wo man herkommt. Und sich immer wieder einmal seiner Wurzeln zu vergewissern. Heute ist so ein Moment. Ich habe mich sehr gefreut, lieber Herr Hanstein, als Sie mir die Einladung schickten, eine Fastenpredigt zu halten. Mich hier einreihen zu dürfen in die Liste der Predigerinnen und Prediger, ist mir eine Ehre.

Mit dem Thema für die Predigtreihe in diesem Jahr liegt die Messlatte nach meinem Empfinden besonders hoch. Die Herausforderungen der Zeit, um die es geht, sind gewaltig: Kriege, Klimawandel, Künstliche Intelligenz – jedes für sich hat sein eigenes Gewicht. Dass sie uns gleichzeitig beschäftigen, unterstreicht ihre Bedeutung. Und die Liste ließe sich mühelos erweitern. Die Fragen, die auf unserer Tagesordnung stehen, sind nicht trivial. Es geht um viel. Und es geht auch um mich selbst, um uns alle: Wie begegnen wir den genannten Themen? Wozu genau sind wir herausgefordert? Und welche Rolle könnte der Glaube spielen?

Ich spreche heute früh zu Ihnen als Theologe. Das ist die Expertise, die ich einbringe. Ich möchte Ihnen – mit einem Blick in die Bibel, konkret: ins Alte Testament, mit einem Text im Buch des Propheten Jeremia – Menschen vorstellen, die eine große Herausforderung zu bewältigen hatten. Man könnte von einer Zeitenwende sprechen, die sie erlebten. Die plötzlich von ihren Wurzeln abgeschnitten wurden. Die alles verloren haben, was ihnen Halt und Hoffnung gegeben hatte.

Wir gehen in das Jahr 597 vor Christus. Der babylonische Herrscher Nebukadnezar erobert Jerusalem. Die Stadt wird geplündert und zerstört. Bilder des Krieges – z. B. aus der Ukraine oder Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs, die viele noch ins sich tragen – vermitteln uns eine Vorstellung, welches Entsetzen, wie viel Gewalt, menschliches Leid dies bedeutete. Nach der Eroberung Jerusalems zwingt der Eroberer das gesamte Königshaus, die Oberschicht, Gelehrte, Handwerker und Fachleute, nach Babylon zu gehen. Der Plan ist klar: Sind sie weit weg, die Stadt Jerusalem wird nicht so schnell nicht wieder aufgebaut werden können.

In Babylon sitzen die Deportierten nun fest, während der Prophet Jeremia mit einem kleinen Rest im zerstörten Jerusalem verbleibt. Die Verbannten sind trostlos, wie gelähmt, traumatisiert. Sie wissen nicht weiter und können ihr Entsetzen kaum bewältigen. Schreckliches haben sie erlebt. Eine Perspektive für ihr Leben sehen sie nicht. Getrieben sind sie von Entsetzen über das Erlebte, von der Klage über ihr Schicksal und der Sehnsucht nach ihrer alten Heimat.

In diese Situation hinein schreibt ihnen Jeremia (29,4-7): „Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; … Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“

Was wir lesen – sind Worte des Trostes und der Ermutigung!

Die erste und wichtigste Botschaft des Jeremia lautet: Gott ist bei euch! Natürlich haben sich die Verbannten gefragt: Wie konnte Gott das zulassen? Warum wir? Wo war denn Gott, als das alles passierte?

Es ist die große Frage des Glaubens. Wo war Gott? Wo ist Gott? Die Verbannten meinten, Gott sei nur in Jerusalem zu finden. In der Babylonischen Gefangenschaft sind sie von Gott verlassen. Jeremia weitet ihr Gottesbild und sagt: Gott ist doch da, auch bei euch in Babylon. Das Volk Israel hat einen Lernprozess durchlaufen. Erst meinte es, Gott in der so genannten Bundeslade bei sich zu haben auf dem Weg durch die Wüste – nach dem Aufbruch aus der Knechtschaft in Ägypten. Später war es wichtig, Gott im Tempel in Jerusalem zu verehren. Jetzt musste es lernen, dass Gott auch in der Verbannung ist, an jedem Ort der Erde. Dieses Bewusstsein, dass Gott mitgeht, an jeden Ort dieser Erde zu finden ist, das war entscheidend für den Glauben des Judentums. Und es ist entscheidend für das Christentum. Du kannst Gott an jedem Ort finden. Du findest ihn auch dort, wo du es gar nicht für möglich hältst, wo du Kranke besuchst oder Gefangene, wo du Obdachlose und Geflüchtete beheimatest und Hungrigen zu essen gibst. Genau da findest du Gott, heißt es im Neuen Testament, im Matthäusevangelium.

Wo ist Gott? Er ist da. „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag“ – so hat es der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer formuliert, Weihnachten 1944, als er seiner Verlobten und seiner Familie schrieb. Das sind die letzten schriftlichen Worte Bonhoeffers, geschrieben im Gefängnis. Bonhoeffer wurde wenige Monate später, am 9. April 1945, im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet.

Gott ist da – und deshalb könnt ihr an einem neuen Ort, an jedem neuen Ort Wurzeln schlagen. Beheimatet euch, empfiehlt Jeremia Er tröstet die Verbannten ganz praktisch: Nun findet euch da ein, wo ihr seid! Pflanzt Bäume, baut Häuser, gründet Familien. Wahrscheinlich war das nicht das, was die Verbannten hören wollten. Keine Rückkehrperspektive, die es anbietet. Vielmehr will er ermutigen, sich auf die neue Situation einzulassen. Verzagt nicht, auch wenn es euch schlecht geht! Macht das, was gerade möglich ist. Lasst euch nicht einflüstern, wie schlimm alles ist, sondern packt an.

In der Ermutigung, der Stadt Bestes zu suchen, ist der Brief auch politisch. Polis – das ist die Gemeinschaft, in der Menschen leben, die Kommune, die Stadt, das Dorf, der Verein. Da bin ich selbst gefordert und nicht nur Zuschauer. Was zu tun ist, was geschieht, es geht mich persönlich etwas an. Und ich kann selbst etwas beitragen. Jeder und jede kann etwas beitragen. Zum Glauben gehört der Auftrag zur Gestaltung der Welt. In einer Zivil- und Bürgergesellschaft wird dieser Auftrag als Einladung und Aufforderung zugleich betrachtet, sich einzubringen – als Einzelner und zusammen mit anderen.

Suchet der Stadt Bestes ist ein Leitmotiv der Arbeit, für die ich seit zwölf Verantwortung trage. Dort bearbeiten wir in Tagungen die Themen, von denen schon eingangs die Rede war: Wie lassen sich Kriege verhindern? Wie sieht ein gerechter Frieden aus? Was können wir gegen die Erdüberhitzung tun? Wie wird Künstliche Intelligenz unser Leben prägen? Das sind nur vier Themen von mehreren Dutzend Fragen, die wir in Tagungen aufgreifen, zu denen Menschen aus ganz Bayern und auch aus anderen Bundesländern kommen. Interessierte, die ein ganzes Wochenende diskutieren, ein Thema von allen Seiten betrachten, manchmal auch streiten, die sich orientieren, ihren eigenen Horizont erweitern, ein eigenes Urteil bilden möchten, mitreden wollen. Die nach Lösungen suchen, wenigstens nach Teillösungen, die ausprobieren, wie nächste Schritte, wie ein vernünftiger Kompromiss aussehen könnte.

Gott ist da – engagiert euch. Wir spüren: Hier geht es um die Haltung – meine Haltung, meine Einstellung. Wie ich den Herausforderungen begegne. Darin liegt auch eine Ermutigung zum kritischen Denken. Sich nicht verführen zu lassen von den Vereinfachern, von denen, die die Abgrenzung betonen – wir und die. Sich nicht verführen zu lassen on denen, die hasserfüllt andere abwerten. So kommen wir in unserer Gesellschaft nicht weiter.

Hoffnung auf Zukunft entsteht dort, wo Menschen sich zusammenfinden, das Gemeinsame herausarbeiten und nicht zuerst das Trennende betonen. Für einen allein sind die Herausforderungen natürlich zu groß, eine Überforderung. Deshalb ist es gut, sich mit anderen zu verbinden.

Und welche Rolle könnte der Glaube spielen? Er ist – wie wir bei Jeremia oder bei Bonhoeffer sehen – eine Ressource. Ich könnte auch sagen: Motivation. Die Welt verändern zu wollen – mit anderen und für andere –, das ist Motivation. Diese Ressource macht Glaubende nicht zu Besserwissern. Sie macht Glaubende aber zu Menschen, die im Vorfindlichen noch nicht das Endgültige sehen. Die vom Leid anderer nicht unberührt bleiben. Die sich interessieren für das, was um sie herum geschieht. Die Spielräume ausloten, sich beteiligen, mit anpacken, Verantwortung übernehmen. Die den ersten oder den nächsten Schritt wagen. Die im Wir einen Mehrwert für die Gesellschaft der Verschiedenen sehen. Die sich durch Scheitern nicht entmutigen lassen. Die immer wieder neu anfangen.

Der tröstende und ermutigende Ton der biblischen Worte klingt über die 2600 Jahre hinweg nach. Gott ist da, sagt Jeremia. Auch wenn du im Moment nicht weiterweißt: Lass dich nicht irre machen in deinem Glauben. Dein Gottvertrauen gibt dir Kraft. Das ist Trost, den wir uns gegenseitig zusprechen und die Ermutigung, mit unserem Engagement der Platzanweisung Gottes zu folgen und der Stadt Bestes zu suchen. Darauf liegt viel Segen für die Gemeinschaft, in der wir leben! Amen.

Fastenpredigten 2023 in der Johanniskirche

Akademiedirektor Udo Hahn, © Haist/eat archiv

Fastenpredigt III: “Suchet der Stadt Bestes“ mit Musik von JohannisBrass

So, 26.3.2023 mit Pfarrer Udo Hahn

Pfarrer Udo Hahn ist bekannt als Rundfunkprediger und Publizist. Er leitet seit 2011 die Evangelische Akademie Tutzing. Er war u.a. Redakteur beim Rheinischen Merkur und Oberkirchenrat der EKD. Für die Fastenpredigt kehrt er zurück zu seinen Wurzeln. In Lauf geboren hat er hier Abitur gemacht, in Neunkirchen am Sand ist er aufgewachsen. Die FastenpredigerInnen in der Johanniskirche Lauf 2023 geben Orientierung in aktuellen Herausforderungen, getragen von persönlichen und beruflichen Erfahrungen.

Der Gottesdienst findet am 23.3. um 9:30 Uhr in der Johanniskirche statt und werden musikalisch von JohannisBrass gestaltet. Danach gibt es die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit den PredigerInnen beim Kirchenkaffee im Johannis-Saal.

“Herausforderungen unserer Zeit”

Kriege, Klimawandel und Künstliche Intelligenz sind wahrscheinlich die größten Themen im Jahr 2023 in unserer Gesellschaft. Wie begegnen wir ihnen? Wozu sind wir herausgefordert? Welche Rolle könnte Glaube spielen?

Diese Gottesdienste in der Passionszeit finden alle 14 Tage jeweils um 9:30 Uhr in der Johanniskirche statt und werden musikalisch umrahmt. Danach gibt es die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit den PredigerInnen beim Kirchenkaffee im Johannis-Saal.

Elke Kaufmann ©Elaine Schmidt

Hier die Fastenpredigten 2023 zum Nachlesen!

Fastenpredigt I: „Wut und Beistand bei Hiob und heute“

So, 26.2.2023 mit Dr. Elke Kaufmann.

Elke Kaufmann ist geschäftsführende Vorständin des Diakonischem Werks der Dekanate Neumarkt, Altdorf und Hersbruck. Als gelernte Sozialpädagogin begann sie in der Dekanats­jugend, arbeitete als Gerontologin im Sozialdienst und Quartiersmanagement bei DIAKONEO und übernahm am Zentrum für Altersmedizin zunehmend mehr Geschäftsführungsaufgaben.

Unsere FastenpredigerInnen in der Johanniskirche Lauf 2023 geben Orientierung und machen Vorschläge, getragen von persönlichen und beruflichen Erfahrungen.

David Geitner ©privat

Hier zum Nachlesen!

Fastenpredigt II: „Berühre meine Wunden“ – Anteilnahme als Auftrag Christi in unserer Gesellschaft?!“

So, 12.3.2023 mit Diakon David Geitner. David Geitner ist seit Februar 2023 Berater für Kirchenasyl der Evangelischen Landeskirche in Bayern. Er arbeitete sieben Jahre bis Ende 2020 als Jugendleiter und in der Flüchtlingsberatung in unserer Kirchengemeinde Lauf. Zuletzt war er Geschäftsführer für Kindertagesstätten im Dekanat Hersbruck. Er ist Rummelsberger Diakon und hat zusätzlich einen Abschluss als Betriebswirt (VWA)