Deutsch-Ukrainisch-Russischer Friedens-Gottesdienst am 6.11. in Christuskirche Lauf mit INGRET – Немецко-украинско-российская служба мира 6.11. в Христускирхе Лауф совместно с INGRET

Die Ökumenischen FriedensDekade in Bayern wird am 6. November um 10.30 Uhr in der Christuskirche Lauf zum Thema ZUSAMMEN:HALT eröffnet.  Diesen Gottesdienst können Sie auch live auf dem Youtube Kanal „C1 Lauf“ verfolgen. – Экуменическое десятилетие мира в Баварии будет открыто 6 ноября в 10.30 утра в Христускирхе Лауф на тему TOGETHER:STOP.  Вы также можете смотреть эту услугу в прямом эфире на канале Youtube “C1 Lauf”.

INGRET wurde international bekannt durch den Gewinn von „Voice of Ukraine“ 2017 mit ihrem Song „Birdie“. -INGRET стала известна на международном уровне после победы на “Голосе Украины” 2017 года с песней “Birdie”.

Die Künstlerin INGRET Kostenko wird den Gottesdienst musikalisch gestalten und vom Leben in der Ukraine berichten. Sie ist die Tochter der lutherischen Pastorin Larissa Kostenko aus Winnyzja. Larissa wird uns per Video auf Deutsch grüßen. Sie leitet das Projekt „Tafel Trapeza“, für das unsere Kirchengemeinde schon 50.000€ gespendet hat.

Pfarrer Martin Tontsch, Konfliktberater und Wirtschaftsmediator wird predigen, Pfarrer Hanstein leitet durch den Gottesdienst mit weiteren Gästen.

Diesen Gottesdienst können Sie auch auf Youtube “C1 Lauf” miterleben!

Артист ИНГРЕТ Костенко предоставит музыку для службы и расскажет о жизни в Украине. Sie ist die Tochter der lutherischen Pastorin Larissa Kostenko aus Winnyzja. Larissa wird uns per Video auf Deutsch grüßen. Она руководит проектом “Tafel Trapeza”, на который община нашей церкви уже пожертвовала 50 000 евро.
Пастор Мартин Тонтш, консультант по конфликтам и бизнес-медиатор, будет проповедовать, пастор Ханштейн будет вести службу вместе с другими гостями.
Вы также можете посмотреть эту услугу на Youtube “C1 Lauf”!

Vom 6. bis 16. November ist das Evang.-Luth. Dekanat Hersbruck das diesjährige Schwerpunktdekanat der Bayerischen Evangelischen Landeskirche für die Ökumenische Friedensdekade 2022.  

Unter dem diesjährigen Motto „zusammen:halt“ werden vielfältigen Zugängen zum Thema Frieden einen besonderen Rahmen geben und eine Plattform für Begegnungen schaffen.

In den folgenden zehn Tagen bis Buß- und Bettag wird in zahlreichen Veranstaltungen deutlich, wie Friedensarbeit als Querschnittsaufgabe kirchlichen Handelns wahrgenommen wird.

Alle Veranstaltungen bei uns und im Dekanat Hersbruck finden Sie hier:

www.lauf-evangelisch.de/Friedensdekade2022

Bildrechte Ökumenische FriedensDekade e.V.

frei sein – Predigt am Reformationstag 2022 von Pfarrer Jan-Peter Hanstein

Predigt freisein mit Gal 5, 1-6 und Xavier Naidoo. Es gilt das gesprochene Wort.

Glaubst Du, dass der Wind weht,
weil irgend jemand sagt: “Wind, weh jetzt”
Glaubst Du, dass die Sterne, die am Himmel stehen
leuchten, weil irgendwer sie an knipst? Glaubst Du das?
Glaubst Du, dass die Elemente tun, was sie sollen,
und nicht, was sie wollen? Glaubst Du das? Glaubst Du das?
Wenn Du das glaubst, dann wirst Du nie sehen
und verstehen, was ich mein, wenn ich sag’:

Ich will frei sein,
frei wie der Wind, wenn er weht.
Ich will frei sein,
frei wie ein Stern, der am Himmel steht.
Ich will frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.
Ich will frei sein, nur frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.

Glaubst Du, dass die Erde
aufhören würde, sich zu drehen,
wenn irgendwer entschiede,
dass es besser wär’ für sie zu stehen? Glaubst Du das?
Glaubst Du, dass irgendwer, irgendwo, irgendwann
für Dich Dein Leben leben kann? Glaubst Du das? Glaubst Du das?
Wenn Du das glaubst, dann wirst Du nie sehen
und verstehen, was ich mein, wenn ich sag’:

Ich will frei sein,
frei wie der Wind, wenn er weht.
Ich will frei sein,
frei wie ein Stern, der am Himmel steht.
Ich will frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.
Ich will frei sein, nur frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.

Glaubst Du, dass Dein Leben
bereits geschrieben steht,
und dass irgendwo ein Weiser
für Dein Tun die Konsequenzen trägt – glaubst Du das?
Glaubst Du, dass von allen Leben auf der Welt eins
wertvoller ist als Deins? Glaubst Du das? Glaubst Du das?
Wenn Du das glaubst, dann wirst Du nie sehen
und verstehen, was ich mein, wenn ich sag’:

Ich will frei sein,
frei wie der Wind, wenn er weht.
Ich will frei sein,
frei wie ein Stern, der am Himmel steht.
Ich will frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.
Ich will frei sein, nur frei sein,
ich will frei sein, nur frei sein, nur frei sein, nur frei sein.

Liebe Gemeinde,

von der Freiheit möchte ich so singen können wie Xavier Naidoo und von der Freiheit so predigen wie Paulus:

Gal 5, 1-6                                        

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

So steht nun fest

und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Siehe, ich, Paulus, sage euch:

Wenn ihr euch beschneiden lasst,

so wird euch Christus nichts nützen.

Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt,

dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.

Ihr habt Christus verloren,

die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt,

und seid aus der Gnade gefallen.

Denn wir warten im Geist

durch den Glauben auf die Gerechtigkeit,

auf die man hoffen muss.

Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung

noch Unbeschnittensein etwas,

sondern der Glaube,

der durch die Liebe tätig ist.

Ich will frei sein, nur frei sein … singt Xavier Naidoo.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit, sagt Paulus.

Was glaubst du? Was glaube ich?

1. Freiheit ohne Bedingungen

Freiheit – ist Freiheit und sonst nix, hat der Münchner Weiß Ferdl gesagt. In Zeiten als diese Freiheit schon verloren, korrumpiert war und man die Freigeister festgesetzt hat.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit, sagt Paulus.

Wenn in der Kirche von Freiheit geredet wird, auch heute noch und sogar in der evangelischen Kirche, dann wird’s ernst. Wenn ich heute so von der Freiheit singe wie ein Xavier Naidoo und rede wie ein Paulus, dann werden hinterher tausend Einschränkungen kommen und Fragen  – „Ich möchte ja nur einmal anmerken, Herr Pfarrer“. – „haben Sie nicht etwas vergessen?“

Liebe Freunde, Ach die Freiheit: ich kann eure Gedanken schon hören.

Bedenklich: Kann die Freiheit nicht so schrecklich missbraucht werden?

Besorgt: Müssen wir der Freiheit deshalb nicht Schranken setzen?

Ganz klug: endet meine Freiheit nicht an der Freiheit des anderen?

Natürlich kenne ich auch die Einwände, einen zu Recht umstrittenen Künstler wie Xavier Naidoo zu spielen, der erst in allerletztem Moment vor kurzem von seinen obskuren Verschwörungstheorien und Corona-Schwurbeleien abgerückt ist und öffentlich Abbitte geleistet hat. Aber ich wollte dieses Lied von 1999, komponiert von Moses Pelham und gedichtet von Martin de Setlur – denn welches andere Lied transportiert so zart, so wehmütig die Sehnsucht nach Freiheit, die jetzt nach über 20 Jahren fast absurd klingt? wie frei waren wir 1999 ohne Corona Lockdowns, ohne die Finanzkrise, ohne einem Krieg wie dem in der Ukraine aufgezwungenen, der unser gesamtes System durchschüttelt. Niemals hätten wir Kinder der 80er uns solche Einschränkungen vorstellen können. Deshalb – lasst mir den Naidoo, er steht für eine Phase meines Lebens, auch für die Freiheit eines Songs, der von dem Leben eines Künstlers nicht abhängig sein sollte.

Zurück also zur Frage: Wie viel Freiheit braucht der Mensch?

Liebe Schwestern und Brüder:

Freiheit – ist Freiheit und sonst nix. Wer als Christ die Freiheit unter Bedingungen stellt wie: Freiheit Ja, aber, – ja, wenn nur, – wer die Freiheit in Nebensätzen klein redet, der braucht sich nicht wundern, wenn große Philosophen Max Scheler, ein Jean Paul Sartre, ein Nicolai Hartmann sich hinstellen und sagen:

„Um meiner Freiheit willen kann ich nicht wollen, dass es einen Gott gibt.“

Für mich wie viele andere  ist heute Freiheit die entscheidende Frage.  Als Christ und Theologe Gott und die Freiheit zusammenbringen, zu denken, das ist die immer noch theologische Meisterfrage der Neuzeit. Für mich auch. Denn:

2. Gott und die Freiheit gehören zusammen.

Dieser Gott, der in Christus befreit, ist die Freiheit. Noch einmal: Warum nicht? Gott ist die Freiheit! Warum scheuen wir uns, so etwas frei herauszusagen und kommen mit den Bedenken, dass Freiheit missbraucht werden kann. Und dann reden wir in der Kirche von Liebe und Glaube – kann nicht Liebe und noch viel mehr Glaube ebenso furchtbar missbraucht werden?

Ist nicht die Freiheit der Schutz vor Missbrauch? Weil da einer sich hinstellen kann und kann sagen: Nein – so nicht.

Gegen die Autoritäten, gegen die Tradition stellt sich einer hin und protestiert und beruft sich auf die Freiheit des Gewissens und die Freiheit der Vernunft und die Freiheit der Schrift.

Auf diesen Paulus. Und gehorcht nicht.

Nicht dem Kaiser und nicht dem Papst, der ihn bis heute nicht rehabilitiert hat.

Ja  – ich meine Martin Luther.

Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemanden untertan. PUNKT.

Kein Wenn. Kein Aber. Auch wenn dann folgt:

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Der erste Satz zählt und auf ihn kommt es an.

3. Und wenn die Welt voll Teufel wär

und wollt uns gar verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen.

Der Fürst dieser Welt,

wie sau’r er sich stellt,

tut er uns doch nicht;

das macht, er ist gericht’:

Ein Wörtlein kann ihn fällen.

Welches Wort ist das?

FREIHEIT!! Nicht nur Gedankenfreiheit!

Zur Freiheit hat Christus euch befreit.

So lasst euch nicht wieder unter das Joch des Gesetzes zwingen.

Ich bezeuge einem jeden von euch:

Wer jetzt die Moral auspackt und die Sitte,

wer jetzt die Tradition anführt und die Zwänge,

der fällt aus der Gnade Christi

und muss wieder das ganze Gesetz erfüllen. ALLES.

Ach ich möchte das Lied Freisein mit diesen wunderbaren Strophen weiterdichten:

Glaubst Du, dass Dein Leben bereits geschrieben steht,
und dass irgendwo ein Weiser für Dein Tun die Konsequenzen trägt – glaubst Du das?
Glaubst Du, dass von allen Leben auf der Welt eins wertvoller ist als Deins? Glaubst Du das? Glaubst Du das?
Wenn Du das glaubst, dann wirst Du nie sehen
und verstehen, was ich mein, wenn ich sag’:
Ich will frei sein.

Heute – 2022 – erkennen wir: Es ist gar nicht so einfach, in der Freiheit zu leben.

Da ergeht es einem leicht wie einem Zootier, das zufällig freikommt: meistens kehrt es nach kurzer Zeit freiwillig zurück in den Käfig. Zu gefährlich ist es in der freien Wildbahn…

Die Unfreiheit des Imperialismus

Wie frei ich war, wie frei wir aufgewachsen sind, das habe ich immer geschmeckt und gefühlt, wenn ich in der DDR auf Tage hinweg in unserer Partnergemeinde in Neubrandenburg gelebt habe. Ich habe das hier schon erzählt.

Heute sage ich: Schaut auf die Ukrainer. Wie sie um ihre Freiheit kämpfen. Ihr Leben geben. Obwohl sie im Gegensatz zu uns die Freiheit nur ein bisschen geschmeckt haben. Trotz aller Korruption und Armut in ihrem Land.  Sie wollen nicht zurück in die Rolle der Sklaven, nicht in der Unterdrückung der Sowjetunion, niemals wieder Nazis, auch nicht als billige Arbeitssklaven der Europäischen Union.

Es ist eine Schande, dass diese Freiheit, die Grundrecht der Menschen oft gegen ein Christentum erkämpft werden musste, dass vom ungerechten System profitierte und ausgehalten wird. In diesem Fall innerhalb der orthodoxen Kirche:

Ich rede vom obersten russischen Bischof, dem Metropoliten Kyrill. Dem Putin eine Kathedrale der Armee für hunderte von Millionen Euros geschenkt hat und ihn längst in der Tasche hat. Die russisch-orthodoxe Kirche wird nicht manipuliert. Diese Kirche ist vielmehr längst “Teil eines kriminellen Regimes”.

Ich will frei sein – ein freier Christenmensch! Oft geht es dann gegen verknöcherte religiöse Institutionen, aber auch gegen geschickte Manipulationen, die unser Gewissen versklaven!

Let Freedon rain? – da ist der Ruf von Martin Luther King von seiner berühmte Rede in Washington hineingemischt. Ich habe den Ruf nicht so ganz verstanden, bis ich ihn nachgelesen habe. Let Freedon rain? Let Freedom reign?

“Let freedom ring!” ruft martin Luther King. Lasst die Freiheit regieren. Nie wieder Sklaven! Kein Rassismus, der Menschen als Untermenschen ausbeuten lässt.

Jetzt kommt der Kern unseres Glaubens.

Was glaubst du? Wie ist das mit Gott und der Freiheit?

Christus hat uns zur Freiheit befreit:

Radikal!

Wer ist Jesus für mich?

Ein absolut freier Mensch: so frei wie Gott selbst auf eine so tolle Art und Weise, das ich immer noch staune, wenn ich die Bibel lese: ein so freier Mensch, der so frei ist, völlig er selbst zu sein und so offen mit allen umzugehen. Ein freier Mensch, der tut was er will und nicht was er soll: uns zu zeigen wie Gott ist. Frei und liebevoll. Der mir beibringt: kein Leben ist wertvoller als deins, und keiner hier kann dein Leben leben. Aber auch kein anderes Leben ist weniger wertvoll als meins!

Glaubst Du, dass irgendwer, irgendwo, irgendwann
für Dich Dein Leben leben kann ? Glaubst Du das ? Glaubst Du das ?
Wenn Du das glaubst, dann wirst Du nie sehen
und verstehen, was ich mein, wenn ich sag’:

Freiheit ohne Einschränkung. Frei sein zu dem was ich entdecke, das ich bin, wozu ich wohl geschaffen bin.

Da verstand ich und glaubte.

Freiheit ist die Grundlage allen Lebens. Dazu hat Gott uns geschaffen. Dazu hat er sun bestimmt. Er möchte keine Roboter, keine Marionetten. Sondern menschen aus Flaisch und Blut. Gut und böse, aber frei zu leiben und zu glauben.

Dazu kam Jesus, das freieste und gleichzeitig liebevollste Wesen auf der Erde und im Himmel, der Sohn Gottes.

Jesus zeigt es uns: gegenüber der Ehebrecherin, dem Zöllner, den sogenannten Sündern, den Frau und Kindern, ja sogar den Heiden – zur Freiheit hat Christus uns befreit. Und aus diesem wahnsinnigen Bewusstsein der Freiheit wächst die Liebe und dann der Glaube. Aus der Freiheit wächst der Glaube als Antwort auf dieses wunderbare Geschenk Gottes. Wie Paulus sagt: Der Glaube, der in der Liebe tätig ist.

Und die Bindungen, Ehe, Kinder, Beruf die bilden neue Schwingen der Freiheit, die den Wind spüren und die anderen die Sehnsucht nach Freiheit lehrt.

Da ist der Schmerz des Liebenden, der in Freiheit den anderen ziehen lassen muss.

Das ist der wehe Stolz der Eltern auf ihre Kinder, die selbstbewusst und frei ihren Weg gehen. Auch wenn dieser Weg ganz anders aussieht als ihrer.

So ist Gott. Seine Liebe schafft den freien Menschen und hört nicht auf zu lieben.

Alles andere ist wieder „Gesetz“ oder gesetzlich, wie wir nach Luther sagen.

Nein – Ich möchte nicht von einer wahren und einer falschen Freiheit geredet haben.

Ja ich glaube: der Glaube, der in der Liebe tätig wird bildet die Grundlage zum fliegen im Glauben. Für den Freien ist der Himmel frei und der Wind, die Wolken, und die Erde mit ihrer Fruchtbarkeit.

Für den Unfreien ist der Himmel verschlossen mit einer Stahlplatte und die Elemente gegen ihn.

Wer die Freiheit kennt, weiß, was ich meine.

Wer die Freiheit geschmeckt hat, weiß, was ich glaube.

Denn Freiheit ist Freiheit und sonst nix.

(Wort des lebendigen Gottes nach Luther am Reformationstag.)

Ich kann nicht anders. So helfe mir Gott. AMEN.

Predigt von Pfarrer Hanstein, 10.7.22, Fallen, Wendungen und doppelte Böden in Joh 8 – Jesus und die Ehebrecherin

(Hier auch auf Youtube – es gilt das gesprochene Wort!)

Joh 8 Jesus und die Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde NGÜ

2Früh am Morgen war Jesus wieder im Tempel. Das ganze Volk versammelte sich um ihn, und er setzte sich und begann zu lehren.

3Da kamen die Schriftgelehrten und die Pharisäer mit einer Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte, sodass jeder sie sehen konnte.

4Dann wandten sie sich an Jesus. »Meister«, sagten sie, »diese Frau ist eine Ehebrecherin; sie ist auf frischer Tat ertappt worden. 5Mose hat uns im Gesetz befohlen, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du dazu?«

6Mit dieser Frage wollten sie Jesus eine Falle stellen, um dann Anklage gegen ihn erheben zu können. Aber Jesus beugte sich vor und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

7Als sie jedoch darauf bestanden, auf ihre Frage eine Antwort zu bekommen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: »Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein auf sie werfen.« 8Dann beugte er sich wieder vor und schrieb auf die Erde.

9 Von seinen Worten getroffen, verließ einer nach dem anderen den Platz; die ältesten unter ihnen gingen als Erste. Zuletzt war Jesus allein mit der Frau, die immer noch da stand, wo ihre Ankläger sie hingestellt hatten.

10 Er richtete sich auf. »Wo sind sie geblieben?«, fragte er die Frau. »Hat dich keiner verurteilt?« – 11»Nein, Herr, keiner«, antwortete sie. Da sagte Jesus: »Ich verurteile dich auch nicht; du darfst gehen. Sündige von jetzt an nicht mehr!

Liebe Gemeinde,

nach diesem spannenden Evangelium erwartet ihr jetzt einiges. Einen guten Tatort am Sonntag Morgen. Sex and Crime. Vielleicht auch überraschende Bekenntnisse von mir als Pfarrer zum Thema Sexualität und Ehe, am besten auf Youtube abrufbar für die Ewigkeit  … aber da meine Frau es sehen könnte … 😊 Vielleicht auch eine saftige Geißelung des modernen Lebens, auch klerikal “Sodom und Gomorrha” genannt: Ehebruch, Scheidungen, Abtreibungen, Missbrauch, oder auch nur kirchliche Hochzeiten ohne Mitgliedsschein wie von unserem ach so konsequenten FDP-Vorsitzenden auf Sylt …

Aber da sind eure Erwartungen etwas hoch. Wer im Glaushaus sitzt … Noch mehr: ich würde das Thema verfehlen. Denn im Vers 6 steht:

6 Mit dieser Frage wollten sie (Schriftgelehrte und Pharisäer) Jesus eine Falle stellen, um dann Anklage gegen ihn erheben zu können.

Der Ehebruch und die beschämte, vermutlich spektakulär halbnackte Frau, die beim Ehebruch ertappt worden sein soll – das ist nur das erste Steinchen, der ins Rollen kommen soll. Die Lawine soll anschließend Jesus mitbegraben. Wir werden sehen, dass dieses Evangelium mit mehrfachen überraschenden doppelten Böden gestaltet ist, ganz wie ein richtiger guter Film.

Also nicht so primitiv wie die Sendung „Vorsicht Falle!“ warnt – Schutz vor Neppern, Schleppern, Bauernfängern; sondern mit Haken und Ösen. Ich hoffe, ihr könnt folgen.

2Früh am Morgen war Jesus wieder im Tempel. Das ganze Volk versammelte sich um ihn, und er setzte sich und begann zu lehren.

3Da kamen die Schriftgelehrten und die Pharisäer mit einer Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte, sodass jeder sie sehen konnte.

4Dann wandten sie sich an Jesus. »Meister«, sagten sie, »diese Frau ist eine Ehebrecherin; sie ist auf frischer Tat ertappt worden. 5Mose hat uns im Gesetz befohlen, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du dazu?«

Jesus sitzt mit dem Volk im Tempel und lehrt. Er ist bereits berühmt und berüchtigt. Ein C-Promi. Sein Wort gilt schon etwas. Damals unterrichteten die Theologen fast ausschließlich mit Frage und Antwort. Viele trauten sich nicht zu fragen, denn mit jeder Frage kann man sich auch blamieren – wobei jeder selbst den Weisesten mit Fragen überfordern kann, getreu dem Motto: Ein Narr kann 1000 mehr Fragen stellen als ein Weiser beantworten kann.

Zurück zur Szene. Wir befinden uns im Tempel mit Jesus und vielen Menschen, die ihn befragen und zuhören. Ein großes Durcheinander von Menschen, die ein Ritual suchen, die nur beten möchten, Touristen, die die größte Baustelle der damaligen Welt sehen möchten sowie Lehrern, die gleichzeitig als Seelsorger und Richter fungieren.

Zu diesem Jesus kommt nun eine spezifische Gruppe: Pharisäer und Schriftgelehrte – Ich sehe demanch keinen Mob, der Lynchjustiz üben möchte, keine primitiv-islamische Taliban, die ihre Rückständigkeit mal wieder ausleben möchten, ich sehe keinen wütenden Ehemann, kurz vor einem Ehrenmord – sondern: Männer, die eine Frau benutzen, um Jesus eine Falle zu stellen. Sie bringen diese unbekannte Frau vor Jesus, um ihn äußerste Verlegenheit zu bringen:

»Meister«, sagten sie, »diese Frau ist eine Ehebrecherin; sie ist auf frischer Tat ertappt worden. 5Mose hat uns im Gesetz befohlen, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du dazu?«

Was sagen wir dazu?

Im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik konnte Ehebruch mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis bestraft werden. Bis zur Abschaffung 1969 wurden immerhin 1600 Menschen deswegen verurteilt.

Gut – zu Jesu Zeiten sah das anders aus. Die Todesstrafe war eher theoretisch für jüdische Gerichten ausgeübt worden, weil das in vielen Jahrzehnten selten vorkam. Außerdem galt das jüdische Recht nur für “kleine” Vergehen. Die römischen Besatzer hatten sich das „ius gladii“, die Kapitalverbrechen mit Todesstrafe vorbehalten. In welche Falle sollte Jesus also gehen?

Ich denke, sie erwarteten nicht von ihm, dass Jesus den Richter spielen sollte. Sie haben nur gefragt: „Was sagst du dazu?“ Sie hätten auch fragen können: Willst du Richter sein? Denn jedes Urteil durfte damals nur gesprochen werden, wenn es Ankläger und Richter gab. Verteidiger waren erst Jahrhunderte später vorgesehen … die Richter hatten also eine hohe Verantwortung. Sie mussten auch die Verteidiger ersetzen.

Jesus wird also öffentlich nur um Rechtsberatung gebeten. Gleichzeitig steht Jesus im Ruf, ein Gesetzesbrecher zu sein. Speisegesetze, Sabbatgesetze, alle möglichen Gesetze hat er und seine Jünger schon übertreten. Weil plakativ gesagt – das Gesetz um des Menschen gemacht wurde und nicht umgekehrt.

Nochmal: Welche Falle wird ihm also gestellt? Ich denke, er sollte sich blamieren. Mit Drehungen und Wendungen sich in den komplizierten Gesetzen verfangen, bei der Befragung Zeugen und das Volk vor den Kopf stoßen und am Ende könnten die Schriftgelehrten und Pharisäer sagen: So einem Wirrkopf glaubt ihr? Der hat doch nichts drauf! Im schlimmsten Fall: ein Abtrünniger, er weicht von der Lehre ab – darauf stand übrigens erst recht die Todesstrafe!

Ihr wisst ja längst wie die Geschichte ausgeht.

Sehen wir genauer hin. Was sagt Jesus?

Erst einmal lange nichts. –

Nichts sagen ist auch etwas sagen, lehrt uns der Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick. Die gespannte Stille. Nicht immer gleich antworten, würde ich mir hinter die Ohren schreiben, der ich die Unart habe, oft Menschen zu unterbrechen, wenn ich glaube, dass ich weiß, was sie sagen wollen. Erst einmal sacken lassen. Stille in so einem aufgeheizten Atmosphäre kühlt auch ab. Immer mehr Menschen kommen und fragen sich, was da los ist. Schon weil da wahrscheinlich eine attraktive halbnackte Frau im Tempel zu sehen ist.

Vielleicht deshalb sieht Jesus nicht hin. Er möchte sie nicht beschämen, nicht ausziehen mit seinen Blicken, es reicht, was er hört. Die Justizia hat ja bekanntlich die Augen verbunden. Nicht weil sie blind ist, wie manche behaupten, sondern weil sie sich von dem äußeren Anschein nicht blenden lassen soll. Das Wort ist entscheidend, in jedem Gerichtsprozess gilt bis heute nur das gesprochene, nicht das geschriebene – besser nur das gehörte Wort. Deshalb dauern Gerichtsprozesse so lange, weil hunderte von Seiten öffentlich verlesen werden müssen.

Jesus schweigt. Und schreibt. Das einzige Mal, das wir hören, das Jesus schreibt! Wie Sokrates hat er kein einzigen geschriebenen Text hinterlassen, sondern nur im Hören und Reden gelebt, in Fragen und Antworten und Zeichenhandlungen… So ein Zeichen ist jetzt sein Schreiben.

Denn ich glaube Jesus mimt das Schreiben. Mimen heißt, er ahmt es bedeutungsvoll nach. Schriftgelehrte und Pharisäer sind da, die jedes Wort auswendig kennen.

Aber er ist vertieft wie einer, der nur schreiben will. Der nichts entscheiden muss, nur treu ist. Der schreibt sein Leben lang. Einfach die Tora abschreibt. Wie die tausenden von Mönchen, die tausende von Abschriften angefertigt haben.

Erst als es nicht mehr anders geht, richtet er sich auf, reckt sich und wagt einen Satz, der die ganze Tora zusammenfasst. Verifiziert vom jahrelangen Lesen der heiligen Worte, Murmeln und Schreiben. Redet als einfacher Schreiber, nicht wie ein Schriftgelehrter, seine Worte geben wieder, was er gelesen und verstanden hat, das ist seine einzige Vollmacht. Er spricht und interessiert sich nicht für die Folgen. Beugt sich wieder über die Worte, die ihm vorgesprochen werden und die seine Hand aufschreibt, bis seine Augen sie erfassen, die leuchtende Schrift sein Inneres erhellt und er versteht.

Diesen einen Satz “Wer ohne Sünde ist…”

Das genügt, er kann wieder weiterschreiben, er ist nicht verantwortlich für das, was geschehen wird. Die Ältesten gehen als erstes, einer nach dem anderen verschwindet. Nur sie weiß nicht, wohin. Bis er endlich auftaucht, aufrichtet und sich zu erkennen gibt. Das Spiel ist zu Ende.

So weit so einfach. Aber ich habe euch ja interessante Wendungen versprochen.

Nun ist Zeit zu bekennen, dass vielleicht manche von euch, die immer treu in ihren alten Bibel mitlesen, den Bibeln, in denen sie viele Anmerkungen, Lebensereignisse geschrieben haben – es könnte passieren, dass nun jemand diese seine eigene Bibel hochhebt und empört ruft: Herr Pfarrer Hanstein, diese Geschichte ist in meiner Bibel gar nicht drin!

Andere sagen: Und bei mir nur mit eckigen Klammern und der Anmerkung: diese Perikope ist in den ältesten Handschriften nicht zu finden und ist erst später eingefügt worden.

Vollkommen richtig. Ich lege heute mit hoher Wahrscheinlichkeit den jüngsten Text der Bibel aus. Geschrieben Jahrhunderte nach den anderen neutestamentlichen Texten. Auch innerliche Gründe sprechen dafür: Bei Johannes hätte Jesus sonst gewiss eine lange Rede gehalten.

Seltsam ist, Jesus schreibt in den Sand. Wie als würden die späten Verfasser uns darauf hinweisen, dass nicht der bleibt, der schreibt, sondern der, über den geschrieben wird …

Anmerkung: in diesem Tempel gibt es keine Steine, die geworfen werden könnten. Und es gibt auch keinen Sand. Vielleicht etwas Staub, aber da wird gleich ein Beflissener kommen und fegen, damit das Heiligtum blitzblank ist.

Nein, wir glauben nicht an die Schrift, wir glauben nicht an die historische Methode, dass das Älteste das Richtigste ist, so wichtig es ist, zu kennen, wie sich etwas zugetragen und entwickelt hat. Sonst müssten wir ja steinzeitliche Gesetze ausführen oder eben die 10 Gebote, die ein Nomadenstamm von 4000 Jahren entwickelt hat. Wir müssten Menschen töten, wegen absurdester abergläubischer Vergehen, die wir heute dann doch lieber psychiatrisch behandeln lassen.

Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben auch nicht nachgefragt: Wo steht das geschrieben? Sondern sie haben begriffen, dass Jesus die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes in diesen Worten perfekt zusammengefasst hat wie in dem Doppelgebot der Liebe, das ihnen bekannt war.

Die Ältesten gingen zuerst weg. Die „Presbyteroi“ auf griechisch. Die Gemeindeältesten mit Anspielung auf den Kirchenvorstand, aber auch die Ältesten, die so viel Lebenserfahrung hatten, dass sie wussten, was für Sünden sie begangen hatten, die ihnen jede Autorität zu richten nehmen würde.

Jesus fordert sie auf: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Ein gewagtes Spiel. Er weiß, dass der erste Stein die anderen nach sich ziehen würde. Der erste Stein ist der schwerste.

Er kennt das Mobbing, er kennt die Zusammenrottungen von selbstgerechtesten Menschen im Internet und auf Facebook, die am liebsten vernichten, spalten und ungestraft mit Steinen werfen, oft ohne ihr absurdes Tun zu bemerken. 

VORSICHT FALLE!

Jesus rettet. Er wirft mit einem Satz ein Netz aus wie der liebende Ehemann in Werner Bergengruens Geschichte von einer Ehebrecherin. Er rettet vielleicht ein Familie. Einen Ehemann, der gar nicht befragt wurde, Kinder, die auf ihre Mutter warten und weinen. Er rettet die Würde einer Frau, deren Leben ein paar skrupellose Meinungs-Macher gefährden, nur um Jesus eine Falle zu stellen.

Jesus entgeht den Netzen der Verfolger, den Fallstricken, den üblen Nachreden und den Scherbengerichten. Er, der selbst richten könnte – nicht nur über diese arme Frau, sondern über einen jeden, der da ihn fragt: Was sagst du dazu. Auch über jeden von uns, die schon wieder die Steine in der Hand haben und mal wieder einen Shitstorm auslösen wollen. Oder aus politischen und scheinbar religiösen Machtgründen wieder Frauen Rechte und Würde nehmen wollen. Wenn Vergewaltigungen und Missbrauch auf dem Rücken von Frauen und Mädchen ungestraft bleiben und sie sogar mit den Konsequenzen leben sollen. Seht die Waisenhäuser in Rumänien an und dann wisst ihr wohin das alles führt. Aber das wäre noch eine ganz andere Predigt.

“Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein.” Wenn du den Stein schon in der Hand hast – baue mit anderen ein Haus oder lege ihn auf ein Grab eines Menschen, den du verehrst, wie die Juden es tun. Gut, dass es nicht wirklich ein Grab Jesu gibt, sonst gäbe es dort nicht nur die gigantische Grabeskirche, sondern einen Steinberg, der bis zum Himmel reicht. Jesus lebt – durch diesen einen Satz.

Wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein.

Ein toller Satz. Jesus hat alles gesagt, was wir wissen müssen, jetzt müssen wir es nur noch tun. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.

AMEN.

Das Netz. Eine Novelle von Werner Bergengruen

Auf einer schroff emporragenden Insel des Mittelmeeres galt vormals ein Recht, dass jede des Ehebruchs überführte Frau vom Schwarzen Felsen zu Tode gestürzt wurde; unabhängig davon, ob der Gatte die Bestrafung verlangte oder aber zu einer Aussöhnung bereit war, – denn es wurde hier ein Vergehen nicht so sehr gegen den Gatten erblickt als vielmehr gegen die Gesetzlichkeit und Ordnung der Ehe. Und es war auch bestimmt, dass derartige Urteile in Tagesfrist vollstreckt werden sollten.

Die Ortschaft, an die wir denken, lag auf der Höhe und war vom Strande her auf einem gewundenen und dennoch steilen Wege in mühsamem, nicht ganz wenig Zeit erfordernden Anstiege zu erreichen; der Schwarze Felsen fiel unweit der Kirche fast senkrecht zu den Strandklippen ab. Dort unten gab es spitze Zacken, Höhlen und vom Meerwasser erfüllte Grotten. Der Fuß des Felsens galt als kaum zugänglich. Der Hafen lag weiter ab; er war unbedeutend und wenig belebt. In seiner Nähe lagerten verstreut ein paar Fischerhütten. Ihrer eine stand im Eigentum eines Mannes, der sich jetzt seines Gewerbes wegen für eine Reihe von Tagen entfernt hatte, denn im Gegensatz zu seinen Nachbarn trieb er den Fischfang nicht nur in der Nähe der Küste, sondern auch auf der hohen See.

An der Frau dieses Mannes sollte ein Urteil der geschilderten Art vollstreckt werden. In seiner Abwesenheit nämlich war ein Schiff mittlerer Größe, das einer kleinen, an Bord jedoch nicht vornehmbaren Ausbesserung bedurfte, im Hafen vor Anker gegangen. Das Schiff lief wieder in See, und nun wurde gegen die Frau des Fischers, die um ein Erhebliches jünger war als ihr Mann, von Nachbarinnen und Nachbarn die Anzeige eingegeben. Die Beweise waren schlüssig, die Frau leugnete nicht lange. Sie schien verstört. Nach dem Steuermann gefragt, wusste sie nur mit halblauter Stimme zu antworten: „Er hat mich umgarnt. Wie in einem Netz hat er mich gefangen.“

Man teilte ihr mit, dass sie morgen nach dem Frühläuten der Urteilsvollziehung gewärtig zu sein habe, führte sie wieder in das oben, zwischen der Kirche und jenem Felsabsturz gelegene Turmgefängnis und schickte den Ortspriester zu ihr, der sie getauft und auch ihre Ehe eingesegnet hatte.

Inzwischen war der Gatte dieser Frau heimgekehrt. Er wach ein hoch gewachsener Mensch von ungewöhnlicher Leibesstärke und Gewandtheit, aber ernst, schweigsam und über jugendliche Jahre hinaus. Die Leute am Hafen empfingen ihn mit Befangenheit und Bedauern, einige mochten nicht sprechen, doch hatte er in kurzem erfahren, was geschehen war und zu geschehen sich anschickte. Er wandte sich ab und ging zu seiner Behausung. Die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete sich auch im oberen Ortsteil. Die Einwohner nahmen an, er werde hinaufkommen, um seine Frau zu sehen, und auch nächsten Morgens werde er zugegen sein.

Seine Rückkehr war auch dem Priester bekannt geworden. Er teilte sie der Frau mit, nachdem sie die Sakramente empfangen hatte. Sie antwortete, sie habe nur noch den einen Wunsch, seine Vergebung zu erlangen, bevor sie stürbe.

„Ich denke, da Gott dir vergeben hat, wird es dir auch an seiner Vergebung nicht fehlen“, sagte der Priester.

Es war Sommer und lange vor Frühläuten bereits taghell. Die Gefangene wurde an den Ort der Vollstreckung geführt, an dem sich viele Männer und Frauen eingefunden hatten. Auch Menschen von unten, aus der Hafengegend, waren gekommen. Die Kirchenglocke läutete, dünn und schrill, wie es ihre ärmliche Art war.

Die junge Frau sah bleich aus, und die Blässe ihres schmalen Gesichts trat neben dem schönen schwarzen Haar und den schönen schwarzen Augen noch merklicher hervor. Sie ging in aufrechter Haltung. Die Hände waren ihr über dem Rücken zusammengebunden. Sie sah sich unruhig um; es war offenbar, dass ihre Blicke ihren Mann suchten. Sie sprach halblaut mit dem neben ihr gehenden Priester. Dieser sah sich ebenfalls um, machte dann eine Gebärde der Verneinung und schien ihr darauf ein paar zuredende Worte zu geben.

Die Frau stand jetzt nahe dem Abhang, der viele hundert Fuß hinunterreichte, vor dem Ortsrichter, welcher zugleich der Gemeindeälteste war. Dieser schickte sich schon an, das Urteil noch einmal zu verkündigen, aber da ergriff der Priester das Wort und bat namens der Frau um einen Aufschub; sie habe den Wunsch, von ihrem Manne Abschied zu nehmen, und es sei wohl darauf zu rechnen, dass er in kurzem zur Stelle sein werde. Der Richter beriet sich mit einigen Männern.

Obwohl diese ungeduldig waren, denn der eine wollte in seinen Weinberg, der andere zu seinen Fischernetzen, ein dritter in seine Werkstatt, wurde der Verurteilten eine Frist zugestanden. Und zwar wurde gesagt, man wolle so lange warten, bis die vorrückende Sonne den unten gelegenen Küstenstreifen erreicht habe, und sei bis dahin ihr Mann noch nicht gekommen, indessen auf dem oberen Wegstück hinter der letzten Kehre bereits sichtbar geworden, so wolle man abermals warten, bis er den Vollstreckungsort erreicht habe. Im anderen Falle sei ihre Zeit abgelaufen.

Die Frau nickte zum Zeichen ihrer Dankbarkeit.

Während des Wartens sprachen die Leute raunend von dem Fischer und dass er weder am Abend ins Gefängnis noch jetzt hierhergekommen war. Manche wunderten sich darüber, einige in ihrer Hartherzigkeit hießen es gut, wieder andere fanden es unbillig, dass er seinen freilich rechtmäßigen Zorn so weit treibe, ihr nicht zu vergeben, und sich angesichts ihres Todes nicht mit ihr auszusöhnen wünschte. Einer der aus der Hafengegend Hinaufgestiegenen wollte den Fischer tags zuvor gesehen haben, wie er von unten her an der Wand des Schwarzen Felsens umher geklommen und erst beim Dunkelwerden in seine Hütte zurückgekehrt sei. Da nun dies Felsgelände für so gefährlich galt, dass anders als in selbstmörderischer Absicht niemand dort umher steigen werde, so wurde unter den Anwesenden die Vermutung geäußert und aufgenommen, der Fischer habe in seiner Verzweiflung sich zu Tode stürzen wollen, müsse aber dann zu der Meinung gelangt sein, ein ehebrecherisches Frauenzimmer sei es nicht wert, dass ein Mann seiner Art sich ihrethalb das Leben abspreche.

Die Frau sagte kein Wort mehr, auch zu dem Priester nicht. Sie blicke abwechselnd hinunter zum Strande und auf den staubweißen Weg, der zwischen den Weinbergsmauern heranführte.

Der Strand lag jetzt im Licht. Der Gemeindeälteste winkte. Die Frau wurde ihrer Fesseln entledigt, wie es Sitte war, gleich als hielte man es für einen Mangel an Achtung vor dem Tode, einen Menschen gebunden vor sein Angesicht treten zu lassen. Von dieser Sitte wich man nicht ab, obwohl es vorgekommen war, dass Missetäterinnen sich aus allen Kräften an den Richter oder an dem zum Henker bestimmten Mann zu klammern gesucht und gewaltsam hatten abgewehrt werden müssen. Diese Frau aber tat nichts solcher Art.

Sie stand jetzt hart am Abhang. Der Richter wiederholte die Worte des Urteilsspruches und zerbrach ein weißes, sorgsam geschältes Stäbchen, während ihr der Priester sein Kruzifix zum Kusse hinhielt. Sie wandte den Blick noch einmal dem Wege zu, auf dem nichts zu sehen war als ein halbwüchsiger Bursche mit einem beladenen Esel.

Es wurde jetzt so still, dass man unten zwischen den grottenreichen Klippen die See seufzen und donnern hörte. Dann erhielt die Frau den Stoß.

Alle sahen ihr nach, doch war sie ihnen so geschwind entglitten, wie eine im Augenblick des Erwachens zergehende Traumgestalt. Man spähte hinab, aber die Gegend da unten am Fuße des Schwarzen Felsens lag noch in Dunst und Schattenbereich, und sie erschien dem Blick umso schwerer durchdringlich, als der angrenzende Küstenstreifen schon von augenblendendem Sonnenlicht erfasst worden war. See, Boote und Häuser blitzten. Alles schien winzig.

In den späten Vormittagsstunden verbreitete sich im oberen Ortsteil die Neuigkeit, man habe den Fischer und seine Ehefrau gesehen; sie befänden sich in ihrer Behausung. Dieses Gerücht, dem zu glauben man sich einstweilen weigerte, verursachte viel Erregung. Der Gemeindeälteste ordnete vier Männer ab; sie sollten die Nachricht durch den Augenschein prüfen und, wenn sie sich bewahrheitete, die beiden gefänglich einliefern. Denn nun erinnerte man sich daran, dass der Fischer ja tags zuvor an der Felswand umherklimmend gesehen worden war, und konnte nichts anders vermuten, als dass er, um die Frau ihrer Strafe zu entziehen, irgendwelche unstatthafte Vorkehrungen ersonnen und getroffen hatte, wiewohl dies wiederum nicht recht glaubhaft erscheinen wollte.

Die Hinuntergeschickten fanden das Ehepaar, als sei wenig geschehen, in seiner Hütte. Der Mann schlief, die Frau stand am Herde. Sie hinkte ein wenig und trug an Armen und Gesicht Spuren blutiger Abschürfungen, sonst aber schien sie wohlbehalten. „Lasst mich zu Ende kochen und lasst meinen Mann essen, bevor ihr uns davonführt“, bat sie. Dies wurde ihr zugestanden.

Danach wurden sie vor den Richter gebracht. In seiner wortkargen Art beantwortete der Fischer die Fragen, die an ihn gestellt wurden. Der Richter beriet sich mit seinen Beisitzern, zu denen auch der Priester zählte. Man war zornig auf den Fischer und doch voller Bewunderung. Es hieß, er müsse auf eine angemessene Weise bestraft, an der Frau aber die gehinderte Urteilsvollstreckung nachgeholt werden. Doch gab es auch Andersmeinende, und zu ihnen gehörte der Priester, dessen Worte gänzlich in den Wind zu schlagen man sich scheute.

Da nun eine Einigung nicht zustande kommen wollte, so verfiel man darauf, zur Markgräfin zu schicken, die das Kastell ihres verstorbenen Mannes in der Mitte der Insel bewohnte und bei den Leuten an der Küste, obwohl nicht eigentlich als Herren des Landes anerkannt, doch so hoch in Geltung stand, dass sie sich in manchen Angelegenheiten an sie wandten und ihren Rat oder ihr Urteil erbaten. Einige freilich warnten, – nicht weil sie von der Markgräfin geringer dachten als die übrigen, sondern weil sie befürchteten, es möge sich hieraus eine Gewohnheit entwickeln, die endlich zum Gesetz würde, so dass mit der Zeit ihre Ortschaft unter die richterliche Oberhoheit und zuletzt gar erbliche Botmäßigkeit der Markgrafschaft gelangen könne.

Die entgegenstehenden Gedanken aber gewannen die Oberhand, und so wurde ein Bote zu der Markgräfin abgeschickt. Sie ließ sagen, sie werde anderen Tages kommen.

Fast alle Einwohner des oberen und des unteren Ortes waren an der Stelle versammelt, an der die Verurteilte ihre Strafe hatte erleiden sollen; denn hier wollte die Markgräfin Recht sprechen. Die Frau stand dort, wo sie tags zuvor gestanden hatte, und der Mann stand an ihrer Seite. Beide waren gefesselt.

Die Markgräfin kam mit einigen Frauen, Gefolgsleuten und Dienern. Ihr hellgrüner Mantel stand gut zur grünen goldbestickten Schabracke ihres Pferdes; gleichwie ihr weißes Haar zur Weiße des Pferdeleibes. Sie trug weder Schleier noch Hut, und ihr Haar wurde von einem goldenen, in der Sonne blitzenden Netz zusammengehalten. Man hatte ihr einen Sessel hingestellt, ein wurmstichiges Stück mit abgesplitterter Vergoldung, immerhin das ansehnlichste, das sich hatte auftreiben lassen, denn dieser Sessel gehörte der Kirche und diente dem Bischof, wenn er, was nur alle paar Jahre geschah, vom festen Lande herüberkam, um zu firmen.

Jacob Samuel Beck (1715-1778): Porträt der Ernestine Albertine Gräfin von Schaumburg-Lippe, geb. Prinzessin von Sachsen-Weimar im Jagdgewand, um 1755,

Die Markgräfin stieg vom Pferde, trag an den Felsenhang und blickte lange in den Abgrund hinunter, indem sie sich die Örtlichkeit genau erklären ließ, erst vom Gemeindeältesten und seinen Besitzern, dann von dem Fischer. Hierauf kehrte sie, den Sessel verschmähend, in den Sattel zurück und blieb dort, als wolle sie damit deutlich machen, dass sie nicht allzu langer Zeit bedürfen werde, um den Rechtshandel zu schlichten.

Mit ihren hellen Augen betrachtete sie nun eine Weile die Gesichter der beiden Gefesselten. Dann forderte sie den Fischer auf, zu erzählen. Er tat es ohne Scheu und, seine Natur überwindend, nun auch ohne jenen Wortgeiz, der zu seinen Eigentümlichkeiten gehörte.

Es sei ihm leid gewesen, so sagte er, dass er nicht zu seiner Frau habe kommen können, denn er hätte ihr gern mitgeteilt, was er zu ihrer Errettung vorhatte; aber die Zeit habe ausgekauft werden müssen. Erst musste er die Helligkeit nutzen, um das Gelände zu erforschen und auszumitteln, welche die gefährlichsten Stellen waren, aber auch, wo sich an den Zacken und Klippenvorsprüngen etwas befestigen ließ. Bis zum Einbruch der Dunkelheit sei er mit seinen Herrichtungen beschäftigt gewesen, und gleich beim Tagesgrauen habe er sie wieder aufnehmen müssen. In der Nacht habe er draußen nichts tun können, denn nicht nur, dass es bei Fackellicht ein unsicheres Arbeiten gewesen wäre, sondern man hätte ihn auch wahrnehmen und sein Vorhaben erraten können. „Und die hier oben, die meiner Frau nach dem Leben standen und von ihrer Absicht auch jetzt noch nicht lassen wollen, die hätten alsdann wohl eine andere Todesart für sie ausgesonnen, und der hätte ich nicht abzuhelfen gewusst. In der Nacht aber war ich damit beschäftigt, Netze zu flicken und zu verstärken, Seile zu verknüpfen und Säcke und Bettzeug mit Heu und Stroh und Moos zu stopfen und neue Säcke von Segelleinwand anzufertigen. Und in der Morgendämmerung bin ich wieder hinausgestiegen und habe die Netze gespannt, und die Seile befestigt, an denen sie sich hernach vollends hinablassen sollte. Und über dem grauen Gestein ist von oben her nichts von Netzen und Seilen wahrzunehmen gewesen.“

Die Markgräfin stellte noch ein paar Fragen, in denen sich ihr Erstaunen darüber ausdrückte, dass er nicht nur den Mut, sondern auch die Fähigkeit gehabt hatte, bis zu jenen Felsenvorsprüngen hinanzuklimmen und noch die schwere Last an Netzwerk, Seilen und Säcken hinaufzubringen. Dann befahl sie, ihn seiner Fesseln zu entledigen, denn sie habe nicht gern mit Gebundenen zu schaffen, er aber scheine nichts getan zu haben, als was seinen ehelichen und christlichen Pflichten angemessen gewesen sei; diese aber hätte für ihn den Vorrang haben müssen vor jenen, welche die örtlichen Gesetzesbräuche ihn auferlegten; die einen nämlich seien von Gott, die anderen von Menschen gegeben.

Man tat nach ihrem Geheiß, und nun wandte die Markgräfin sich dem Gemeindeältesten und Richter zu und sagte, als einem natürlichen Menschen habe dem Fischer auch das Bewusstsein von einer Rechtswidrigkeit seiner Handlung gefehlt, denn sonst wäre er nach geschehener Rettungstat mitsamt seiner Frau entflohen. Der Richter nickte, wiewohl zögernd, zum Zeichen seines Einverständnisses.

Die Markgräfin fragte, wie das Urteil gelautet habe. Der Richter antwortete: „Es lautete so: diese Frau soll den Schwarzen Felsen hinabgestürzt werden.“ „Ist dies der Wortlaut gewesen?“ fragte die Markgräfin nun auch die anderen Männer. Alle bejahten.

Es hieß also nicht, die Frau solle durch Hinabstürzen getötet werden, und auch nicht, sie solle hinabgestürzt werden, bis sie tot sei? Gut. Dies ist die erste Ursache, aus der die Frau freizugeben ist. Und jetzt will ich euch die anderen Ursachen sagen.“

Die Leute sahen sie mit Spannung an, einige eifrig nickend, und die Markgräfin fuhr fort: „Die zweite Ursache ist die, dass es sich ziemt, auf ein Eingreifen Gottes zu merken. Ein solches Eingreifen ist geschehen. Und die Errettung der Frau bleibt etwas Wunderhaftes oder doch ans Wunderhafte nahe Heranlangendes. Wie ihr Männer selbst mir gesagt habt, hätte es niemand von euch für möglich gehalten, dass ein Mensch von unten her an diesem Felsen emporklimmen und gar eine so schwierige und kunstvolle Arbeit verrichten könnte, wie das Anbringen der Netze es war. Sondern der Natur hätte es entsprochen, wenn er hierbei den Hals gebrochen hätte. Weiter aber möchte ein Zeichen Gottes darin zu erblicken sein, dass der Fischer seine Rettungsabsicht auch erreichte. Denn bei aller Geschicklichkeit und Umsicht hat er doch den Ort nicht mit völliger Genauigkeit berechnen und vorherbestimmen können: die geringste Bewegung beim Absturz, die geringste Wendung, die der Stoß dem Körper der Frau gegeben, konnte die Richtung des Falles so ändern, dass ihr Leib die Netze verfehlte, und mochten sie über eine noch so große Erstreckung geplant sein. Ebenso hätte es geschehen können, dass das Netz unter dem plötzlichen Aufprall ihres aus so großer Höhe niederfahrenden Körpers riss, und auch, dass dies nicht geschah, möchte ich als ein wunderhaftes Zeichen annehmen.

Meine nächste Ursache ist die folgende. Da Eheleute ja ein Fleisch sein sollen, verhält es sich wohl auch so, dass die Liebe des einen Gatten das Verschulden des anderen zu verdecken vermag, sofern dies Verschulden nicht gegen einen Dritten gerichtet gewesen ist. So hat der Mann, da er sein Leben wagte, es der Gerechtigkeit als ein Opfer dargeboten, und das Opfer wurde nicht angenommen. Zwei Leben sind in die Gefahr und fast schon in die Sicherheit des Todes gegeben worden, und dies dünkt mich für ein Vergehen genug.

Meine letzte Ursache ist diese. Ihr habt die Frau nach eurem Gesetz strafen wollen, und es ist zu fragen, ob sie nicht in der Tat diesem Gesetze gemäß gestraft worden ist. Denn da sie ja nicht wusste, was ihr Mann zu ihrer Rettung vorbereitete hatte, so hat sie keinerlei Hoffnung haben können und hat allen Schrecken des Sterbens verkostet. Es will auch bedacht sein, dass die Frau dem Tode in die Hand gegeben worden ist, ohne dass sie jenen letzten Trost hat erlangen können, den andere ihresgleichen genossen haben, nämlich dass sie den Mann, an dem sie gefehlt hatte, noch einmal sähe und seiner Versöhnung gewiss würde.“

Die Markgräfin hatte bei den letzten Worten die Fischersfrau angesehen, und da sie jetzt schwieg, mochte diese meinen, sie sei zu einer Äußerung aufgefordert. „Nein, Frau Markgräfin!“ rief sie. „In dem Augenblick, da ich den Stoß erhielt, da habe ich es gewusst, dass mein Mann mir verziehen hatte.“

„Kind, du bist keine geschickte Selbstverteidigerin“, sagte die Markgräfin mit einem Lächeln, und nun lächelten auch einige Ortsbewohner. Es wollte ihnen danach natürlich erscheinen, dass die Markgräfin befahl, jetzt auch die Frau von ihren Fesseln zu befreien.

Die Markgräfin atmete den Wind, der salzig vom Meere heraufkam. Sie klopfte ihrem Schimmel den Hals und nahm dann abermals das Wort.

„Ich habe zu urteilen gehabt über die Frage, ob du ein zweites Mal hinabgestürzt werden solltest, und das habe ich getan. Über dein Vergehen aber bin ich nicht zu urteilen eingeladen worden, denn darüber haben ja diese Männer hier bereits geurteilt nach den Gebräuchen, die bei euch gelten. Aber nun will ich dir doch auch hierüber ein Wort sagen. Du hast dich in einem Netz fangen lassen und bist durch ein Netz gerettet worden, denn wie zuvor diesem Fremden, so bist du jetzt deinem Manne ins Netz gegangen. Damit du dessen eingedenk bist, sollst du immerwährend ein Netz tragen, zum Zeichen, dass du nicht gänzlich freigesprochen bist, sondern eine Gefangene bleibst, wiewohl nicht eine Gefangene der Obrigkeit, aber eine Gefangene deines Mannes und seiner Liebe.“

Die Markgräfin nestelte mit beiden Händen an ihrem goldenen Haarnetz. Sie nahm es ab, und während nun ihr dichtes weißes Haar auf den grünen Mantel hernieder floss, warf sie es der Frau zu. Dann lächelte sie, dass ihre schönen Zähne, denen das Alter wenig hatte anhaben können, sichtbar wurden, und sagte, so oft in Zukunft der Mann ein Gericht Fische in ihre Küche bringen werde, könne er einer guten Aufnahme und Entlohnung gewiss sein.

(aus: Bergengruen, Werner; Das Netz. – in: Unterberg, Aenne, / Fuchs, Maria; Zweiundzwanzig Erzählungen, – Ein Vorlesebuch für Erwachsene mit Interpretationen und Anregungen zum Gespräch. – S. 9-17)

Antikes Haarnetz mit Artemis

Der Einsatz “TRAPEZA” in den Unterbringungen für Flüchtlinge aus der Region Donezk

Vor etwa vierzehn Tagen brachte ein Bus aus Sloviansk, Mirnograd … der Region Donezk 64 Menschen in unsere Stadt, darunter 21 Kinder. Ich werde Ihnen nicht sagen, was diese Menschen durchgemacht haben. Sie leben in den Klassenzimmern der Schulen. Die Angst und der Schrecken der Erinnerung erlauben es ihnen nicht, sich frei in der Stadt zu bewegen, einfach zu leben und die kleinen Dinge zu genießen.
Ich sah heute dieselben Augen und dieselbe Stimmung wie bei “unseren” Umsiedlern vor fast 2 Monaten. Viele haben sich angepasst, viele suchen und finden Arbeit, und einige sind weitergezogen oder haben bessere Bedingungen gefunden. Ich habe etwas, mit dem ich es vergleichen kann. Heute haben wir diesen Menschen zusammen mit den Mitarbeitern von Trapeza unser Mittagessen gebracht. Wir haben sie dorthin gebracht, wo sie es am meisten brauchten.
Alle, Kinder, erwachsene Männer, Frauen, Teenager und ihre Haustiere, lebten zusammen und schliefen auf dem Boden. Sie haben sich noch nicht alle geäußert, es ist schwer, in einer solchen Situation Worte des Trostes und der Hoffnung zu finden. Sie nahmen unser warmes Mittagessen dankend an. Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, aber ich habe versprochen, zu kommen und sie mit dem Wort der Schrift zu unterstützen. Die Freiwilligen brachten Spielzeug und Kleidung mit, und wir brachten ein warmes Mittagessen. Der Herr ist barmherzig, und er wird alles wieder gutmachen.
Wer bittet, dem wird er geben.
Und es wird eine Lösung geben, und es wird Frieden geben, und es wird irgendetwas geben.

Winnyzja 26.04.2022. Larissa Kostenka

#tafelwinnyzja #peaceforUkraine

Predigt am Karfreitag 2022 – Pfarrer Jan-Peter Hanstein zu Joh 19

Das Evangelium nach Johannes 19,16-30

Kruzifixus blickt auf den Trubel unter seinem Kreuz bei einem Oratorium in der Johanniskirche Lauf

16 Da überantwortete Pilatus ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber, 17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben:

Jesus von Nazareth, der Juden König.

20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund.

30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Joh 19

Liebe Gemeinde,

Vorgestern erhielt ich eine Sprach-Nachricht aus dem Kindergarten Arche Noah.

“Herr Pfarrer, was steht auf dem Schild über dem Jesus am Kreuz in der Johanniskirche?”

„Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ „Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.“ Heißt es bei Johannes. Was hat das zu bedeuten – das fragt sich schon ein 4-5 Jähriges Kind. Und wir heute auch.

Über dieses Schild gab es auch damals eine große Diskussion unter den verschiedenen Beteiligten. Die Hohenpriester verlangten von Pilatus, dass die Inschrift abgenommen werden müsse oder geändert wird. Ein Fragezeichen sollte dazu kommen, wie in einer Boulevardzeitung ein zweifelhafter Titel „er habe gesagt, dass er der König der Juden sei…“

Pilatus antwortete mit dem Sprichwort gewordenen Satz: „Quod scripsi, scripsi. Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“

Von Anfang an wird der Sinn von Jesu Passion und Opfer verschieden bewertet:

Die Gefangennahme, Folterung und Hinrichtung von Jesus ist politischer Mord in Tateinheit mit religiösen Motiven. Glauben, Politik, Freiheitsliebe, Erlösungssehnsucht gehen Hand in Hand. Das war schon immer so. Das ist auch heute noch so:

7 Wochen Passion – 7 Wochen Krieg

Sieben Wochen dauert in unserer Kirche traditionell die Passionszeit, in der wir die Leiden Jesu „bedenken“. 7 Wochen dauert der Krieg in der Ukraine schon an. Wir nehmen so nah und direkt wie nie zuvor an diesem Krieg teil. Nehmen Flüchtlinge auf, versorgen dieses Land mit Nahrung und Waffen.  Wir feiern am Sonntag Jesu Auferstehung. Aber der Krieg in der Ukraine geht in seine entscheidende Phase. Die Brutalität wird zunehmen. Die Verluste auch auf beiden Seiten und dazwischen wehrlos die Zivilbevölkerung, Frauen, Kinder und kranke und ältere. Millionen sind geflüchtet. Millionen sind geblieben.

Der Krieg in der Ukraine ist keine neue Anfechtung. Es gab all die Jahre irgendwo Krieg. Auch weisen manche darauf hin, das mehr Menschen auf der Welt an Corona gestorben sind als durch den Krieg in der Ukraine bisher.

Aber noch nie ging uns ein Krieg so viel an! Auch wenn schon bisher unsere Freiheit am Hindukusch in Afghanistan verteidigt wurde, wie der frühere Verteidigungsminister Struck einmal sagte. Syrien war für uns mehr ein Bürgerkrieg, obwohl dort Mächte wie USA, Russland, Türkei, Irak und Iran sich stellvertretend auf syrischen Boden bekämpften. Selbst hunderttausende von Flüchtlingen bei uns fochten uns 2015 nicht an. 

Aber jetzt kann jeder von uns in einem Tag an die ukrainische Grenze fahren und viele tun das ja auch, um zu helfen. Umgekehrt: Flüchtlingskinder, die gerade noch zur Schule gingen, sind am nächsten Tag bei uns und bringen ihr Notebook für den Fernunterricht mit.

War schon durch Corona trotz Distanz unsere Solidarität gefordert, so wird erneut unsere Opferbereitschaft auf die Probe gestellt. Die Spendenbereitschaft wächst enorm. Ich danke besonders für die vielen Spenden für die Tafel in Winnyzja. Aber auf Öl und Gas aus dem Land des Angreifers Russland verzichten? Das wird schon schwerer – höchstens im Sommer…

7 Wochen sind um seit dem 24. Februar – und jetzt Ostern

Wir feiern übermorgen jetzt Ostern. Was soll ich tun? Kriegspredigten halten mit dem auferstandenen Gekreuzigten?

Hoffnung und Mut machen, um die Kampfmoral hochzuhalten? Gegen die Gewalt von Putins Russland, der bei maximaler Eskalation durch Vakuumbomben, Chemiewaffen und sogar mit einem Atomschlag mit Hyperschallraketen droht? Ich gebe zu, dass ich für mich nicht garantiere stillzuhalten, wenn Putins gesammelte Kräfte in wenigen Tagen nun mit massierter Gewalt dieses Mal vielleicht hunderttausende töten werden. Das werden wir West-Europäer irgendwie doch eingreifen werden und müssen. Und ich habe wie ihr alle Menschen guten Willens sehr viel Angst davor. Wir sind nicht Jesus. In Verantwortung der Freiheit und Gerechtigkeit, als Bürger der EU haben wir andere Voraussetzungen und werden wir auch andere Entscheidungen als Jesus treffen müssen. Auch um uns und unsere Mitmenschen zu verteidigen, ohne darin das letztgültige Heil der Welt zu sehen.

Heute an Karfreitag, da werden wir Christen aufgerufen durch allen zweifelhaften und wechselhaften politischen Erscheinungen hindurchzublicken. Der Vorhang zerreißt und viele Lebenslügen werden aufgedeckt.

II Wir werden gefragt: Worauf setzt du?

Worauf setzt du?

1) Auf Bequemlichkeit und Wohlstand für diesen europäischen Teil der Welt – von dem so viele ausgeschlossen werden? Nur keine Unruhe – das sind die besorgten Seelsorger und Taktiker, die Hohenpriester. Aber auch viele von Jesu Jüngern. In der Ukraine hat sich schon lange vor dem Krieg die orthodoxe Kirche gespalten in eine russische und eine ukrainische Kirche, die sich nun genauso feind sind. Das Christentum allein hat noch nie zum Frieden gereicht. Das ist wieder eine große Enttäuschung.

2) Oder setzt du auf die totale Gewalt? Dass Putin sich durchsetzen wird wie die römische Weltmacht, weil sie unerschrocken für den Erhalt ihrer Macht Millionen von Menschenleben zerstören und opfern kann? Dann gehörst du zu den Statthalter Pilatus und seinen Söldnern, Häschern und Verrätern des Imperiums.

3) Oder setzt du auf den Herodes, Realpolitiker wie aus dem sozialdemokratischen Lehrbuch? Dann gehörst du zu den zögerlichen Politikern, die lieber abwarten, bis der Sturm vorüber ist und sich so lange wie möglich neutral verhalten. Nur keinen Anstoß erregen. Die Drecksarbeit andere erledigen lassen. Ein paar Waffen hinschaffen, aber mehr nicht.

Am Karfreitag wird unsere Ohnmacht deutlich. Aber anderes auch:

Weil Jesus stirbt, zeigt sich das Unrecht der totalen Macht. Pilatus ist schuldig an diesem Mord. Bis heute wiederholen wir es anklagend im Glaubensbekenntnis: gelitten unter Pontius Pilatus! Es gibt keine Entschuldigung für Pilatus, keine für Putin! Wenn er sich nicht vor dem Strafgerichtshof in Den Haag verantworten muss, dann vor Gottes Gericht!

Wie Jesus stirbt, zeigt sich auch der Egoismus der religiösen Institutionen. Auch der heute christlichen. Jesus gehört keiner Religion an und keiner Konfession. Denn in Jesus erscheint in seiner Hingabe eine Macht, die gibt, die leben schafft und nicht zerstört, die liebt über den Tod hinaus. So ist Gott. Er opfert sich und stirbt dafür. Deshalb ruft er: „Es ist vollbracht.“

Wer ist dieser Jesus? Was sage ich den Kinder in der KITA?

Bist du der König der Juden? Bist du der Christus, der Erlöser der ganzen Welt? „Wo bist du, Trost der ganzen Welt“. Was würdest du Jesus von Nazareth tun? -> Jesus würde auch heute nichts anderes tun, als was er getan hat. Gottes Liebe und Macht verkündigen und eher dafür getötet werden als selbst zu töten.

Erschütternd finde ich es, wie noch der sterbende Jesus die Menschen unter seinem Kreuz zueinander führt. Zu Johannes sagt er – das ist deine Mutter. Und zu Maria: das ist dein Sohn. Danach stirbt er mit den Worten. „Es ist vollbracht!“

Wir sind nicht Jesus. Sein Opfer genügt. Aber wir Christen werden aneinander gewiesen, sollen die Zurückgebliebenen aufnehmen wie einen eigenen Sohn, wie die eigene Mutter. Eine neue Gemeinschaft entsteht. In ihr leben, glauben und sterben wir. Auch an diesem Osterfest 2022.

AMEN

Russisch

Дорогие прихожане,

Позавчера я получил голосовое сообщение из детского сада “Ноев ковчег”.

“Отец, что написано на табличке над изображением Иисуса на кресте в церкви Святого Иоанна?”.

“Иисус из Назарета, Царь Иудейский”. “И написано было на еврейском, латинском и греческом языках”. Говорит Джон. Что это значит – вот что спрашивает себя 4-5-летний ребенок. И так же мы делаем сегодня.

В то время было большое обсуждение этого знака среди различных участников. Первосвященники потребовали от Пилата, чтобы надпись была снята или изменена. К нему должен был быть добавлен знак вопроса, как к сомнительному заголовку в бульварной газете “он говорил, что он царь иудейский…”.

Пилат ответил фразой, ставшей пословицей: “Quod scripsi, scripsi”. То, что я написал, я написал”.

С самого начала значение страсти и жертвы Иисуса оценивается по-разному:

Захват, пытки и казнь Иисуса – это политическое убийство в сочетании с религиозными мотивами. Вера, политика, любовь к свободе, жажда искупления идут рука об руку. Так было всегда. Так происходит и сегодня:
7 недель страстей – 7 недель войны

Традиционно период Страстей в нашей церкви длится семь недель, в течение которых мы “размышляем” о страданиях Иисуса. Война в Украине длится уже семь недель. Мы участвуем в этой войне так близко и непосредственно, как никогда раньше. Мы принимаем беженцев, снабжаем эту страну продовольствием и оружием. В воскресенье мы празднуем воскресение Иисуса. Но война в Украине вступает в решающую фазу. Жестокость будет возрастать. Жертвы также были с обеих сторон и между беззащитными гражданскими лицами, женщинами, детьми, больными и престарелыми. Миллионы людей бежали. Миллионы остались.

Война в Украине – это не новый вызов. Все эти годы где-то шла война. Некоторые также отмечают, что на сегодняшний день в мире от короны умерло больше людей, чем от войны в Украине.

Но никогда еще война не волновала нас так сильно! Хотя наша свобода уже была защищена в Гиндукуше, в Афганистане, как однажды сказал бывший министр обороны Штрук. Для нас Сирия была скорее гражданской войной, хотя такие державы, как США, Россия, Турция, Ирак и Иран, воевали друг с другом на сирийской земле по доверенности. Даже сотни тысяч беженцев с нами не бросили нам вызов в 2015 году.

Но теперь любой из нас может доехать до украинской границы за день, и многие делают это, чтобы помочь. И наоборот, дети-беженцы, которые только что пошли в школу, на следующий день приходят к нам, приносят свои тетради для дистанционного обучения.

Если наша солидарность уже была поставлена под сомнение Короной, несмотря на расстояние, то наша готовность идти на жертвы снова подвергается испытанию. Желание жертвовать очень сильно растет. Я особенно благодарен за многочисленные пожертвования в продовольственный банк в Виннице. Но обойтись без нефти и газа из страны-агрессора России? Это будет сложнее – максимум летом…
С 24 февраля прошло 7 недель – и вот уже Пасха.

Послезавтра мы празднуем Пасху. Что мне делать? Проповедовать военные проповеди с воскресшим распятым?

Давать надежду и мужество для поддержания боевого духа в бою? Против насилия путинской России, которая угрожает вакуумными бомбами, химическим оружием и даже ядерным ударом гиперзвуковыми ракетами в случае максимальной эскалации? Я признаю, что не могу гарантировать, что смогу сохранять спокойствие, когда объединенные силы Путина будут убивать, возможно, сотни тысяч с массовым насилием, на этот раз через несколько дней. Мы, западноевропейцы, будем и должны как-то вмешаться. И как все вы, люди доброй воли, я очень боюсь этого. Мы не Иисус. В ответственности за свободу и справедливость, как у граждан ЕС, у нас другие условия, и нам придется принимать другие решения, чем Иисусу. А также для защиты себя и своих ближних, не видя в этом конечного спасения мира.

Сегодня, в Страстную пятницу, мы, христиане, призваны смотреть сквозь все сомнительные и изменчивые политические явления. Занавес сорван, и многие лживые факты жизни разоблачены.
II Нас спрашивают: На что вы ставите?

На что вы ставите?

1) О комфорте и процветании для этой европейской части мира, из которой так многие исключены? Только не волнуйтесь – это заинтересованные пасторы и тактики, первосвященники. Но также и многие ученики Иисуса. В Украине задолго до войны православная церковь раскололась на русскую и украинскую, которые сегодня одинаково враждебны друг другу. Одного христианства никогда не было достаточно для мира. Это еще одно большое разочарование.

2) Или вы делаете ставку на тотальное насилие? Что Путин будет господствовать, как римская мировая держава, потому что он может бесстрашно уничтожать и жертвовать миллионами человеческих жизней ради сохранения своей власти? Тогда вы – один из правителей Пилата и его наемников, приспешников и предателей империи.

3) Или вы ставите на Ирода, реального политика прямо из социал-демократического учебника? Тогда вы относитесь к нерешительным политикам, которые предпочитают подождать, пока буря пройдет, и оставаться нейтральными как можно дольше. Только не обижайтесь. Позвольте другим делать грязную работу. Получите там несколько единиц оружия, но не более того.

В Страстную пятницу наше бессилие становится очевидным. Но и другие вещи тоже:

Поскольку Иисус умирает, открывается несправедливость полной власти. Пилат виновен в этом убийстве. И по сей день мы обвинительно повторяем это в Символе веры: “Пострадал при Понтии Пилате! Нет оправдания Пилату, нет оправдания Путину! Если он не должен отвечать перед уголовным судом в Гааге, то перед Божьим судом!

То, как умирает Иисус, также показывает эгоизм религиозных институтов. Даже те, которые сегодня являются христианами. Иисус не принадлежит ни к одной религии или деноминации. Ведь в Иисусе, в Его преданности, проявляется сила, которая дает, которая создает жизнь и не разрушает, которая любит превыше смерти. Вот каков Бог. Он жертвует собой и умирает за это. Вот почему Он восклицает: “Свершилось”.

Кто этот Иисус? Что я скажу детям в КИТА?

Ты Царь Иудейский? Ты Христос, Спаситель всего мира? “Где ты, утешение всего мира”. Как бы вы поступили с Иисусом из Назарета? -> Иисус сегодня не сделал бы ничего другого, кроме того, что Он сделал. Провозгласить Божью любовь и силу и скорее быть убитым за это, чем убить себя.

Меня потрясает то, как умирающий Иисус все еще ведет людей друг к другу под своим крестом. Иоанну он говорит: “Это твоя мать”. И Марии: это твой сын. Затем он умирает со словами. “Все готово!”

Мы не Иисус. Его жертвы достаточно. Но мы, христиане, направлены друг к другу, должны принимать тех, кто остался, как родного сына, как родную мать. Возникает новое сообщество. В нем мы живем, верим и умираем. Также на эту Пасху 2022 года.
АМЕН

*** Переведено с помощью www.DeepL.com/Translator (бесплатная версия) ***


Unser Ukraine-Projekt “Tafel in Winnyzja” prominent vorgestellt von Landesbischof Bedford-Strohm auf der Landessynode in Geiselwind

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auf der Frühjahrsynode 2022

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm berichtete heute morgen der Landessynode über die aktuelle Situation in der Ukraine. Großartig, dass er auch unser Tafel-Projekt in Winnyzja erwähnt. Auf S.5 seines Berichtes schildert er seine Eindrücke:
“Auch unsere Kirchengemeinden hier in Bayern engagieren sich schon jetzt an vielen Stellen für die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. Ein Pfarrer in Lauf liest im Gottesdienst die Predigt von Larissa Kostenka vor, der Kollegin in Winnyzja, einer 350.000 Einwohner zählenden Universitätsstadt in der Zentralukraine. Welch ein Zeichen: Das Wort Gottes zu uns gepredigt, direkt aus den Kriegsgebieten! Zusammen entwickeln sie den Plan und setzen ihn um, ein Café in der Nähe anzumieten, den Pächter als Koch und Projektleiter einzustellen und warmes Essen anzubieten und das Projekt im Wesentlichen mit Spendengeldern aus der Kirchengemeinde Lauf zu finanzieren.
Jetzt können einen Monat lang jeden Tag 50 Menschen versorgt werden. Täglich posten die Laufer auf einer Homepage Bilder aus dem Partnerschaftsprojekt, so dass die Gemeinde mitverfolgen kann, wie ihr Geld verwendet wird und wie es den Menschen in der ukrainischen Gemeinde geht. … “


Danke für den Hinweis von Christian Simon.
Hier die erwähnte Predigt vom 20.3.mit Vorstellung von Pfarrerin Larissa Kostenka

tafelwinnyzja #prayforpeace

Hier der Beircht des Landesbischofs. Ukraine Teil 2, S.5

Hilferuf der lutherischen Gemeinde aus Winnyzja, Ukraine. Bitte um Geldspenden für den Kauf von Lebensmitteln für Gebliebene und Vertriebene vor Ort. Ihr Geld kommt direkt an!

Das Beste an diesem Projekt: Ihr Geld kommt direkt in der Kirchengemeinde Winnyzja an. Es gibt keine Unsicherheiten mit Grenzen oder Empfängern ins Ungewisse! In Minuten steht Ihr Spendengeld nach unserer Überweisung in der Bank in Winnyzja zum Abheben bereit.

Larissa Kostenko ist seit vielen Jahren Pfarrerin in der kleinen lutherischen Gemeinde in Winnyzja. Viele Vertriebene und Geflüchtete machen Station in Winnyzja, das in der Mitte der Ukraine liegt und noch verhältnismäßig sicher ist. Die Männer sind zur Verteidigung eingezogen worden, viele junge Frauen und Kinder flüchten nach Westen in die EU.

Larissa bittet uns um Hilfe für den Kauf von Lebensmitteln für diese Menschen in Winnyzja. Sie möchte mit den verbliebenen Frauen im Gemeindehaus für andere kochen und auch Lebensmittelpakete verteilen. Die Lebensmittel können vor Ort gekauft werden und unterstützen direkt Hilfsbedürftige und Vertriebene. Für dieses Projekt erhält sie breite Unterstützung.

Neue Bilder und ein Video vom Sonntag 6.3.. Bedürftige aus der Gemeinde freuen sich über das gemeinsame Essen und eine kleine Lebensmittelspende. Im Cafe Trapeza werden erste Familien verköstigt. Inzwischen haben wir 1500e überwiesen, der Spendenstand beträgt Dank Ihrer Hilfe schon 4000€.

Referenzen.

Dekan Uland Spahlinger (Dinkelsbühl, vorher Bischof in der Ukraine), Helmuth Küstenmacher (Aussiedlerpfarrer i.R. Ingolstadt), der Schnaittacher 1. Pfarrer Kirchenrat Ulrich Zenker (früher Osteuropareferent) stehen als Referenzen für die Vertrauenswürdigkeit von Pfarrerin Kostenko zur Verfügung. Ich, Jan-Peter Hanstein, kenne Larissa persönlich seit 2014 und finde, sie ist eine gute Gemeindeleiterin. Sie versorgt ihre pflegebedürftige Mutter und bleibt bei ihrer Gemeinde in der Not.

Dieses Projekt ist inzwischen über die evangelische Kirche in der Ukraine und den aktuellen Bischof Pavlo Shwartz als Partnerprojekt bei der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Bayern gemeldet. Auch die Diakonie Katastrophenhilfe unterstützt die “Tafel in Winnyzja” mit einem Startzuschuss. Weitere Vernetzungen im Land werden gerade geknüpft.

Das Projekt ist gut angelaufen. Ein Cafe wurde in der Stadt angemietet, das langjährige Gemeindeglied Pavel wurde zum Projektleiter ernannt. Erste Lebensmittel wurden ausgegeben. Weitere Fotos folgen.

Update 3.3. Unsere Hilfe kommt an! Die ersten Bilder unserer Soforthilfe von 500€ sind angekommen. Larissa hat sich sofort auf den Weg gemacht und Lebensmittel gekauft. Erste Vertriebene wurden versorgt, ebenso Ältere aus der Gemeinde.

UDATE 4.3. Heute hat das Team des “Ökumenischen Sonntagsfrühstücks” beschlossen, 1500€ aus ihrem Budget zu spenden. Vielen Dank für diese wichtige Unterstützung!

UPDATE 2.3.2022: Die Diakonie Katastrophenhilfe Bayern unterstützt unser Projekt mit einer Soforthilfe von 750€!

, dass ihre Gemeinde geschützt bleibt und so ein Segen für andere werden kann.

#tafelwinnyzja #prayforukraine

Hier können Sie spenden! Gerne auch monatliche mit einem kleineren Betrag! Vielen Herzlichen Dank! Wir bürgen dafür, dass Ihre Spende wirklich ankommt! Ihr Pfarrer Jan-Peter Hanstein

Falls Sie nicht direkt digital spenden möchten, hier unser Spendenkonto:

Evang. Kirchengemeinde Lauf, IBAN: DE27760501010240124503 Sparkasse Nürnberg

Bitte geben Sie den gewünschten Zweck an und falls Sie eine Spendenbescheinigung wünschen, auch Ihre Adresse.

Ein paar Eindrücke von der Gemeindarbeit in Winnyzja:




“Durch den Geist Gottes leben wir aus dem, was wir nicht sind” Predigt von Pfarrer Jan-Peter Hanstein 2. Sonntag nach Epiphanias 1 Kor 2,1-12

(Predigttext in der Predigt)

„Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.

auch für mich ist heute diese Beschreibung von Paulus keine hohle Phrase:  mit Furcht und Zittern …

Ein schwerer Text! Mögen Sie sich beim Hören gedacht haben. Gespannt oder resigniert, was der Prediger hier vorne mal wieder daraus machen würde. Jesus machte aus Wasser Wein, damit die Hochzeit der Freude fortgesetzt werden kann.

Und ich soll hier auch im übertragenen Sinn Wasser zu Wein machen? Klar – 

Mit Furcht und Zittern, weil jeder, der sich auf diese Worte von der Kraft Gottes durch die Verkündigung des Gekreuzigten heute wie damals ein Risiko eingeht. Ein Wagnis. Der Erweis des Geistes und der Kraft.

Bis ich einwillige: Ja komm, lebendiger Geist und schenke nicht nur mir die Kraft zum predigen, sondern öffne auch die Ohren der Hörenden.

Mit Furcht und Zittern.

Und seht wie ich eingezwängt bin. Hinter mir das germanische Heiligtum schlechthin: der geschmückte Weihnachtsbaum, neben mir die berühmte wunderbare Puppenmacherkrippe, aber über mir hängt das neuerdings etwas grell beleuchtete Kruzifix, bedrohlich wie ein Damoklesschwert.

Aber das Krippenlied schwingt in mir nach: da steht ein Dichter vor der Krippe und singt:

„Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen.
O dass mein Sinn ein Abgrund wär
und meine Seel ein weites Meer,
dass ich dich möchte fassen!“

 Aber nun Paulus: gar nicht im Überschwang. Sondern:

„ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern“ schreibt Paulus ehrlich. Und dass er das schreiben muss an die Gemeinde, die er gegründet hat, heißt doch auch, das seine Lehre niemals unbestritten dastand, überwältigend wie das System von Aristoteles oder unanfechtbar wie die beißende Kritik eines Sokrates.

Was Paulus da sagt, klingt immer noch paradox, ja absurd wie am ersten Tag.

Ich will unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.

Es geht nicht um die hohe Philosophie, nur die wenigsten durchdringen und auch ich habe einmal erlebt, wie sich mein jugendlicher Geist aufschwang in die Höhe der Philosophieseminare von Reiner Wiehl bis ich plötzlich gegen eine unsichtbare gläserne Decke stieß – ich konnte hindurchsehen und sah die höchststehendsten Erkenntnisse, die Menschen haben können, aber stieß mir schmerzhaft den Kopf an und brach mir fast das Genick, bevor ich hinabtrudelte wie Ikarus, der mit seinen von Wachs zusammengehaltenen Federschwingen der Sonne zu nah gekommen war.

Nein, mir stehen auch nicht die „überredenden Worten der Weisheit“ zur Verfügung, die nach Paulus nur den Vollkommensten und Klügsten zustehen. Ich bin ein einfacher Pfarrer und muss reden zu euch, was ich gehört und gesehen und verstanden habe.

Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.

Ein wenig flirtet Paulus mit den damaligen Mysterienreligionen. Wir würden sagen- Esoterik. Geheimnis nach Geheimnis wird denen eröffnet, die eifrig sich auf die mystischen Meister einlassen, einen Kurs nach dem anderen bezahlen, bis sie schließlich erleuchtet über den anderen schweben. Eingeweiht in die Geheimnisse des Lebens, die anderen, die sich nicht bemühen und auch nicht so viel investieren können in wunderbare Seminare in der Toscana für immer verschlossen bleiben.

Paulus redet zwar von Geheimnissen, von der „Sophia“ in Gott, aber er macht kein Geheimnis daraus sondern legt das Geheimnis einfach offen hin:

»Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

Vielleicht denkt ihr wie ein Kierkegaard gedacht hat: „Der Glaube ist das Größte und Schwerste“ / „Der Glaube beginnt gerade da, wo das Denken aufhört“. Tatsächlich ist da eine Grenze. Oder nicht eine Grenze, sondern ein großer Unterschied.

Es geht um das, was ein Mensch wissen kann. Und das was Gott weiß.

Wissen von uns Menschen und die Weisheit Gottes. O dass mein Sinn ein Abgrund wär …

Zurzeit ist unglaublich viel von Wissenschaft die Rede, hauptsächlich der Biologie und Medizin. Die modernen Wissenschaften werden manchmal als „gottlos“ bezeichnet. So oft, dass die Wissenschaftler manchmal selbst meinen, sie könnten nicht an Gott glauben, weil es nichts anderes gibt als das Wissen.

Dabei geht es nur darum, dass wir nicht selbst einfach Gott einsetzen, wenn unsere Untersuchungen nicht weiterkommen. Das birgt nämlich die Gefahr, das neue Erkenntnisse so wirken, als müsse sich Gott wieder zurückziehen, bis er schließlich überhaupt keine Aufgabe mehr hat. Beispiel: Wenn Gott früher für den Donner und Blitz zuständig war, dann war er diese Aufgabe spätestens nach den Untersuchungen von Benjamin Franklin zum Gewitter wieder los. Deshalb haben christliche Wissenschaftler wie Hugo Grotius in seinem berühmt gewordenen Satz gesagt: Wir müssen forschen und arbeiten, als ob es Gott nicht gäbe. Aber dieser methodische Atheismus ist zutiefst aus der christlichen Kultur entstanden, weil diese Denker bescheiden die Grenzen ihres Wissens gegenüber dem Glauben kannten. Oh, ich merke ich drifte ab und komme doch mit den Argumenten der höchsten Erkenntnistheorie. Wer da mehr erfahren will, ist eingeladen zu dem nächsten Philosophischen Cafe leider über Zoom mit Dr. Edmund Sandermann und unserem klugen ehemaligen Vikar Christian Kamleiter.

Nur soviel: Auch bei Luther begegnet uns das „Etsi deus non daretur“, lebenspraktisch. Der Rat der Stadt „soll sich stellen, als wäre kein Gott da und müsste sich selbst erretten und selbst regieren, gleich wie ein Hausherr soll arbeiten, als wollte er sich mit der Arbeit ernähren. Aber er soll sich davor hüten, dass sein Herz sich verlasse auf solches sein Tun.“

Ich bekomme wieder Furcht und Zittern. Denn mit dem was ich sage, kann man nicht einmal eine Stadt oder Kirchengemeinde „regieren“. Diese praktische Vernunft wird immer wieder den Herrn der Herrlichkeit nicht erkennen und ihn als religiösen Unruhestifter kreuzigen, wie Paulus schreibt:

„Die Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“

Kupferspiegel aus Zypern (Eisenzeit) wibilex

Liebe Gemeinde,

versteht ihr das Problem? Alles Wissen, alle medizinische Forschung, auch die Tiefenpsychologie der Seele, auch die Astronomie und sogar die Wissenschaften Recht und Soziologie, all die Lebensratgeber und Kurse, die Leib und Seele zu höherem berufen, lassen uns „nur“ bei uns selber bleiben. Da ist eine Wand, oder wie ich erzählte, eine Decke. Vielleicht ein Spiegel, in dem wir uns nur selber sehen. Das ist schon viel. Aber weiter kommen wir da nicht. Außer der Geist erhellt diesen Spiegel und wir sehen hindurch, wie wir erkannt sind. (1 Kor 13)

Von uns aus gesehen können wir alle nur Wein zu Wasser machen. 

10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes. 11 Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist? So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes.

Jetzt sind wir da. Ein Sprung in den Glauben. Zauberwerk? Wasser zu Wein?

Der Geist Gottes. Der schon im 2. Vers der Genesis, ganz am Anfang über der Tiefe, Tehom, der Urflut „schwebt“ oder vielmehr sich suchend und verstehend bewegt. Mit dem Geist Gottes können wir nicht denken oder Reden. Er ist nicht „deus ex machina“, der uns einfach zur Verfügung steht, wenn wir Prediger nicht weiter wissen. Dieser Geist Gottes führt uns in die Tiefe.

In der Tiefe ist Wahrheit. Aber nicht einer eingebildeten typisch deutschen Tiefsinnigkeit. Sondern in der wirklichen Tiefe des Todes. Der gekreuzigte Christus. Hinabgestiegen in das Reich des Todes. 

Das Erkennungszeichen.

Heute am 2.Epiphanias ist ein Trinitatisfest. Vater und Sohn feiern wir an Weihnachten. Aber ohne Himmel und Erde, ohne Anfang und Ende, ohne die Bewegung Gottes zu uns, in unser Herz, ohne den Glauben, den der Geist in uns weckt und schenkt, bleibt Jesus nur eine historische Denkfigur.

Und wenn der Geist nicht verfügbar ist? Es hier kalt und verlassen ist? Und ich mich alleine und verzweifelt fühle. So ist er doch da: Mit Furcht und Zittern. In Not und Zweifel. Der Christusgeist, den Paulus beschreibt.

So ist der Geist Christi, schreibt Bonhoeffer aus dem Gefängnis an seinen Freund Eberhard Bethge mit seinem unvollendeten Entwurf der „mündigen Welt“: einer Welt ohne Gott und doch mit Gott.

„Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen. Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt, Gott ist der Deus ex machina . Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen. Insofern kann man sagen, daß die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick freimacht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt.“

Aus der Tiefe rufe ich zu dir, Herr höre meine Stimme  Ps 130.

Der Geist leitet uns nicht an zum Denken, sondern zum Danken, zum Beten, zur Freude, zum Singen und Dichten.

heute am 2. Sonntag nach Epiphanias, da ist das Thema Freude. Da hören wir davon, dass erhoben wird, wer in der Tiefe sitzt. Das am Ende all unserer Bemühungen zu verstehen und zu wissen, eine Freude steht, die Bach so besingt:

Jesu, meine Freude,
meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier.
Ach, wie lang, ach lange
ist dem Herzen bange,
und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
außer dir soll mir auf Erden
nichts sonst Liebers werden.

Und das tun wir vorläufig nun auch.

396 1.3.6 Jesu meine Freude

Kornelis H. Miskotte, Wenn die Götter schweigen S.284-290

Teil II/3 Der Überschuss – Kapitel: Die Erwartung

George Bush and his wife Barbara sit in their bed as six of their fourteen grandchildren play around them in Washington, D.C. Bush was born June 12, 1924 in Milton, Massachusetts. He attended both Phillips Academy in Andover and Yale University. (Photo by Liaison)

Im Alten Testament ist kein Raum für eine logische Entwicklung des Seins der Schöpfung zu dem Vollkommenersein einer neuen Welt, aber ebenso wenig für einen Mut der Verzweiflung, der daraus entspränge, dass für den Sinn der Dinge kein Grund zu finden ist in ihrem Ursprung; der Grund liegt in der Mitte. Und dies ist nun genau das, was das Paradox Ruhe der messianischen Erwartung rechtfertigt. Die Figuren der fortschreitenden Erzählung (zu denen auch wir selbst gehören) leben nicht deshalb in der Erwartung, weil die Erzählung fortschreitet und ein glücklicher Ausgang ihren Schluss bilden muss, auch nicht deshalb, weil sie sich in einer Art „Entschlossenheit” für Tod und Untergang, Wiederkehr und Aufschwung offenhielten; sie leben in der Erwartung, weil sie ihre Zuflucht nehmen zu dem Namen, der in der Mitte der Zeit hindurchgebrochen ist, um Gestalt, Wort, Zeichen anzunehmen. S.289-290

Teil II/3 Der Überschuss – Kapitel: Die Erwartung

Neben den Mächten und den Göttern, dem Leid und der Müdigkeit, neben dem Eros und der Politik gibt es noch ein Moment, das im neutestamentlichen Zeugnis zwar vorausgesetzt und zusammengefasst ist, nicht aber eine Schlüsselposition innehat oder mit nuancierter Ausführlichkeit zur Sprache kommt. Wenn wir in dieser Sache das Alte Testament ignorieren oder es bloß rezitieren, aber nicht auslegen und verkündigen, verfehlen wir den gültigen „Anknüpfungspunkt” für das Kerygma. Das Hören des Alten Testaments ist nämlich der eine Anknüpfungspunkt, auf den es für das Hören des Neuen ankommt; und zwar muss man es, ohne die Einheit der Testamente aus dem Auge zu verlieren, für sich selbst sprechen lassen. Das gilt namentlich für das Moment der Erwartung. Zu den Vorstellungen, die das Gemüt des modernen Menschen, sofern er noch ein Suchender ist, belasten, gehört auch die, dass die Christen sich für „erlöst” halten, dass sie zwar in der Welt bleiben, aber nicht ihrem Auftrag getreu, dass sie die Welt abschreiben und verloren geben. Dass nach der mit Christi erster Erscheinung eingetretenen Erfüllung die Erwartung erst recht lebendig und kräftig wird – es ist die Schuld der berufsmäßigen Gläubigen, wenn das für Tausende innerhalb und außerhalb der Kirche eine Neuigkeit ist.[1]

Wir müssten einen Begriff davon haben, wie viele Menschen bewusst oder unbewusst an dieser Welt leiden, um ahnungsweise zu erfassen, wie sie sich von uns im Stich gelassen fühlen. Diese Menschen sind aus jeder Sphärenharmonie weit hinausgeschleudert, und sie können in einem Haus ohne Fenster nach den letzten Dingen hin, wie z. B. die katholische Kirche, niemals heimisch werden. Sind bei uns diese Fenster nicht beschlagen? Und können wir es nicht verstehen, wenn, bei all unseren Beteuerungen von Frieden und Seligkeit oder auch von partikulärer Misere, in diesen (wie man sagt) „jüdischen“ Geistern ein Gefühl von Beengung aufsteigt – wobei wir dann noch von Glück sagen können, wenn dieses Gefühl nur erst in ein Misstrauen gegen alle solche „großen Worte” umschlägt und weithin noch nicht in finsteren Hass?

Die Kräfte der Zerstörung sind unermesslich, der Mensch tritt ihnen siegreicher entgegen und fällt ihnen zugleich mehr zum Opfer als jemals zuvor. Er hängt über einer fürchterlichen Leere; und wer führt und bewahrt ihn, wer hält ihn zurück von dem Sturz in den kollektiven Wahnsinn? Ist es da nicht eine Ruchlosigkeit, ihm etwas von besseren Zeiten vorzusingen, die (für Christen) schon gekommen wären, und von allerschönsten Inseln der Seligen (für viele? für Herrn Jedermann im nächsten Jahrhundert?)? Das eine wie das andere wird als Betrug, als „escapism”, als „mauvaise foi” empfunden und demaskiert. Die Bilder, welche Karl Kraus schon nach dem ersten Weltkrieg in einem enormen Fresko als „Die letzten Tage der Menschheit“ hingestellt hat, brennend von verzehrender Sprache, sind inzwischen von den späteren Gräueln überholt. In früheren Zeiten durchbrach man den Ring der Dämonie und suchte einen [S. 286 ll/3 Der Überschuss] Ausweg nach innen, nach oben. „Die Aussicht ist nach oben uns verrannt“, wie auch nach innen; und es stellt sich heraus, dass es nicht einmal zwei Wege waren, sondern ein einziger Doppel-Weg. Wo gibt es hüben und drüben einen Anfang von Verständnis? In „Monsieur Ouine” (deutsch: „Die tote Gemeinde“) hören wir den Weheruf des Dichters Bernanos: „Die Christenheit ist tot. Europa krepiert.“ Es ist schlimm, dass weder Christen noch Antichristen entdeckt zu haben scheinen, dass es die Erwartung war, die da starb. Man könnte sagen, es ist mitunter die Stunde des „heiligen Krieges“ gegen die Verzweiflung, d.h. es ist die Stunde, wo der Glaube der Herkunft seiner Haltung eben vom heiligen Kriege innewird, in unmöglicher Position zwischen den Fronten das Unmögliche zu erwarten und zu leisten, fast wehrlos, nein ganz wehrlos auf Gott geworfen. Aber solche Haltung liegt gerade den Christenmenschen fern.

Und was noch schlimmer ist: indem es der Kirche selbst außer an der Erwartung in der Geschichte auch an der Mystik im geistlichen Leben zu mangeln scheint, haben viele sich voller Enttäuschung selbst eingemauert – ehedem, mit Maeterlinck oder Anker Larsen, in eine selbstverfertigte mystische Sphäre, heute, mit Heidegger und Sartre, in existentielle Verschlossenheit. Sehr oft sind die Spuren dieser Flucht, die Züge der Betäubung, noch zu spüren. Diese Welt wird nicht mehr als vernünftig hingenommen; und sich selbst kann man eigentlich nicht anders sehen denn als ein unakzeptables, im All auf den verkehrten Platz gestelltes Wesen, überschätzt und überlastet. Was an dem echten Nihilismus echt sein könnte, ist eben dies, dass auch der Super-Gott der Mystik als eine Ausflucht abgewiesen wird. „Gott ist tot“, und der Mensch wird sich selbst ein Fremder, er findet nicht mehr zu einem eigenen Schicksal, weil kein Schuldbewusstsein, aber auch kein Mut mehr in ihm ist. Was muss das für die Politik bedeuten, jetzt, da die überpolitische Sphäre der Mystik (von Ausnahmen wie, zeitweise, Aldous Huxley abgesehen) ihre Funktion nicht mehr erfüllt! Zu was für einer Anhäufung von Machtlosigkeiten muss das führen – unter der Hülle der Potenz des Wohlfahrtsstaates! Wie sollte man im Blick auf die Zukunft der Welt einen anderen Glauben aufbringen können als das, was die Technokratie uns als solchen aufdrängt? Es bleibt vielsagend, dass die Verzweiflung bei dem „dritten Menschen” schon epidemische Formen annimmt. Wie kommt es, dass „Huis clos” von Sartre und ebenso Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ Kassenschlager werden konnten?

Das Schweigen der Götter und die Ambivalenz des Nihilismus schließen nicht aus, dass sich der „dritte Mensch“ betäuben kann an der Verzweiflung; Verzweiflung ist ein Opium für das schwindlig gewordene Hirn [287] der Vernunft, eine Lust an dem Schauspiel, wie die lebendigen Strukturen des Daseins zerstückt und ihre Knochen freigelegt werden, ein Äußerstes an Erlebnis eines immer weiträumigeren Alls, das immer gewisser als ein geschlossenes erkannt wird. Das soll dann „Wahrhaftigkeit“ sein. Es muss die Erwartung definitiv abschneiden. Das ist auch der Fall, wenn man die Eschatologie als eine Sache der persönlichen Entscheidung deutet und lehrt, bei Paulus z.B. sei „die Geschichte in der Eschatologie untergegangen”, in dem Sinne, dass die „letzten Dinge” ins Heute, ins Innere verlegt werden. „Die entscheidende Geschichte ist nicht die Weltgeschichte, die Geschichte Israels und der anderen Völker, sondern die Geschichte, die jeder Einzelne selbst erfährt“; „das Jetzt erhält eschatologischen Charakter durch die Begegnung mit Christus oder mit dem Wort, das ihn verkündet, weil in der Begegnung mit ihm die Welt und ihre Geschichte zu ihrem Ende kommen und der Glaube als neues Geschöpf ,entweltlicht’ ist.“[2]

Manchem mag solcher Doketismus als Ausweg aus den Verlegenheiten, die uns gefangen halten, einleuchten. Aber den Menschen ist nicht damit gedient, dass „Himmel und Erde” aus dem Blickfeld gerückt und dass die „Taten Gottes” vom Horizont weggewischt werden.[3]

Diese Welt, so muss der „dritte Mensch” aus dem Alten Testament neu hören, ist als offene Welt geschaffen; das Letzte ist noch nicht geschehen, und die totale Erneuerung ist noch nicht erschienen. Das Kommen JHWHs wird im Alten Testament schon in den ersten keimhaften Vorstellungen als eine Wiederkehr des Paradieses verstanden. Das heilige Land steht schon für das verlorene Eden (Ex. 3, 8. 17; 13, S; 33, 3; Num. 23, 21 f.; 24, 7). Der Mythos wird zum Kleid einer Erwartung, die aus der heiligen Geschichte selbst aufgestiegen ist, sowohl in dem Sinne, dass der Messias die Welt vollenden wird, als auch in dem Sinne, dass der Geist die Herzen erneuert (Jes. 9, 6; Jer. 23, 6; Sach. 9, 10; Ez. 37, 24; Jes. 2, 2 ff.; Jer. 31, 33; Ez. 36, 25 ff.; Jes. 30, 20 ff.). Das „geistliche Verständnis von Gottes Wort” (Gunning), das sehr eindeutige Gegenteil einer „Vergeistigung“, führt zu einem Realismus der Momente, der Zeitaufnahmen und ihrer Strahlung[4]; und die theologische Erklärung der Texte, scharf und leicht zu unterscheiden von „pneumatischer” Exegese, beugt den menschlichen Geist unter das objektive Geschehen der Verheißung, auf das unser Pneuma nicht rechnet, nach dem es in seiner Niedergeschlagenheit nicht einmal mehr ein Bedürfnis zu haben scheint, seitdem wir gefangen liegen in unserer subjektiven religiösen oder nichtreligiösen Welt, die eben keine Welt mehr ist.

Mit dieser Niedergeschlagenheit ist stets zu rechnen. Sie scheint der Dunstkreis und der Niederschlag verdrängter Angst vor der Sinnlosigkeit des Daseins zu sein. Und es scheint möglich zu sein, dass man in diesen Zweifel versunken bleibt, während man mit dem geistlichen Gehör das Gotteswort vernommen hat. Es scheint, dass viele oder manche die These Tillichs bestätigen, die Tat der Annahme der Sinnlosigkeit sei in sich selbst eine sinnvolle Tat.[5] Kein Wunder, dass tatsächlich das Lautwerden der Verheißung jedes Mal ein die Niedergeschlagenheit, die Selbstbetrachtung und die Tatsachen-Abschätzung transzendierendes Geschehen(!) sein muss. So finden wir es auch bei den Propheten, namentlich bei Jeremia.

Die Erwartung eines kreativen Handelns Gottes, das alle Dinge neu macht, ist auch darum in Predigt und Unterweisung so notwendig, weil der wehrhafte Mensch, der nicht in dem spukhaften Nirwana seiner Seele untergehen will, eine Dennoch-Position beziehen kann; in dem Bewusstsein einer vertikal von oben einfallenden Verpflichtung, das Gute zu tun unter Absehung von der Hoffnungslosigkeit auf der Horizontalen, feiert er seine Kreativität. Geben wir uns nicht der Meinung hin, die Wurzel solcher Erwägungen liege einzig in der intellektuellen Tätigkeit von einzelnen, hochentwickelten Trotz-Geistern! Auch einfache Menschen leben oft entweder sachlich, ohne Hoffnung, in einem halb bewussten tragischen Heroismus, oder in sittlichem Ernst, der sich gegen das alldurchdringende Gefühl der Zwecklosigkeit des Daseins zu behaupten trachtet, auf Hoffnung gegen Hoffnung, und sich des rechten Weges wohl bewusst zu bleiben scheint.

Auf diesem Wege trifft man auf die tödliche Idee (oder man entgeht ihr nur um Haaresbreite), dass der Mensch edler sei als Gott oder das, was Gott genannt wird. Denn Gott hat keine offene Welt zu bieten, obschon er reich genug ist; wir aber halten mit armen ohnmächtigen Händen stand und graben nach dem Als-ob des Offenen. Was hat die Kirche zu sagen? Sie soll die auf das Heute und Morgen gerichtete Erwartung in die Welt tragen durch ihre Präsenz, ihre exemplarische Existenz als enttäuschtes und doch bräutliches Herz. Da ist eine Erfüllung wie eine Verlobung vorausgesetzt. Sie soll aber nicht in räumlichen Vorstellungen von oben und unten, sondern in zeitlichen von jetzt und dann denken. Sie muss es sich verboten sein lassen, das Dann in eine undenkbare Ferne zu verlegen. Sie kann es sich nicht leisten, nachdem sie ehemals in einer verschlossenen Welt Unruhe gestiftet hat, jetzt, aus Ermüdung, diese Welt hinzunehmen, wie sie ist, und sich nur noch der Seelsorge zu widmen, als ob die Aussicht, dass die überpersönlichen Mächte ihrem Gericht, ihrer Befreiung und ihrem neuen Dienst entgegengehen, ihr vom Horizont weggewischt sei. Es ist nichts mit einer Seelsorge, die den Menschen nicht in seiner Welt (die mehr und mehr mit der einen Welt in ihrer geschichtlichen Bewegung zusammenfallen dürfte) aufsucht und aufweckt, speist und tränkt mit dem täglichen Mahl der Erwartung. Die Kirche darf nicht die sittliche Beunruhigung in die Welt tragen, ohne die Ruhe in Gott zu verkündigen: aber die Ruhe in Gott kann nicht rein persönlich aufgefasst werden; der Mensch steht in der Gemeinde, die selber, von ihrem eigenen Ursprung her, gezeichnet ist durch die Entfremdung von dem Gegebenen, durch ein Sich loswinden aus dem Griff der Urmächte, auch durch ein Verbundensein mit dem kommenden Glanz einer Welt, die man nicht kennt. Die Gemeinde in Kultus und Politik, als Anbetungsgemeinschaft und als Heerschar von Nonconformisten ist niemals beunruhigt, ohne von der Ruhe in Gott zu wissen als von Gottes eigener Ruhe. Ist es doch die Ruhe dessen, der nicht fahren lässt das Werk seiner Hände, jenes Werk, von dem wir höchstens ein kleiner Teil sind. Es ist die Ruhe der messianischen Erwartung.[6] Der brahmanische Spruch: „In dem stillstehenden Ewigen ruht dahineilend die Zeit“ wird durch den Namen umgekehrt: In dem gespannten Geschehen ruht segnend die ewige Treue.

Beim Reden über diese Erwartung muss wohl bedacht werden, dass das Alte Testament (um die gängigen Ausdrücke zu verwenden) existentialistisch” und nicht „essentialistisch” ist. Für unseren Zusammenhang bedeutet das dies, dass mit dem Verfall der Erwartung unmittelbar Hand in Hand ein Verschwimmen, Sich-Verflüchtigen der Schöpfung geht (wie wir es etwa an der Funktion des Wortes „vergeblich” beim Prediger sehen). Im Alten Testament ist kein Raum für eine logische Entwicklung des Seins der Schöpfung zu dem Vollkommenersein einer neuen Welt, aber ebenso wenig für einen Mut der Verzweiflung, der daraus entspränge, dass für den Sinn der Dinge kein Grund zu finden ist in ihrem Ursprung; der Grund liegt in der Mitte. Und dies ist nun genau das, was das Paradox Ruhe der messianischen Erwartung rechtfertigt. Die Figuren der fortschreitenden Erzählung (zu denen auch wir selbst gehören) leben nicht deshalb in der Erwartung, weil die Erzählung fortschreitet und ein glücklicher Ausgang ihren Schluss bilden muss, auch nicht deshalb, weil sie sich in einer Art „Entschlossenheit” für Tod und Untergang, Wiederkehr und Aufschwung offenhielten; sie leben in der Erwartung, weil sie ihre Zuflucht nehmen zu dem Namen, der in der Mitte der Zeit hindurchgebrochen ist, um Gestalt, Wort, Zeichen anzunehmen.

Ist doch mein König

von ureinst her

der Befreiungen wirkt

im Innern des Erdlands

(Ps. 74, 12).


[1] “The moral tragedy of human life comes almost wholly from that fact that the link is ruptured, which normally should hold between vision of ehe truth and action and that this pungent sense of reality will not attack to certain ideas” (William James, Principles of Psychology II, S. 541) – man könnte dies den ersten vergleichs­weise harmlosen Keim der späteren, epidemisch gewordenen Verzweiflung nennen.

[2] Rudolf Bultmann, Geschichte und Eschatologie im Neuen Testament, 1954, in: Glauben und Verstehen III, 1960, S. 102, 105.

[3] Vgl. J- M. de Jong, Kerugma, een oderzoek naar de vooronderstellingen van de theologie van Rudolf Bultmann, 1958, S. 268 f., 275 f,. 292 f., 346.

[4] J. H. Gunning, Blikken in de Openbaring I, 1866, S. 165 ff.; vgl. D. Chantepie de Ja Saussaye, De Toekomst, 1868, S. 96 ff.

[5] Paul Tillich, Der Mut zum Sein, S. 137

[6] Vgl. Hans Kohn, Martin Buber, Ein Versuch über Religion und Politik, S. 233, 245, 275 f., und wie dort diese „Ruhe” fehlt.